Der gleiche Himmel (Staffel 1)

Um Himmels Willen

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Tom Schilling ist der Mann mit der Lizenz zum Flachlegen. Als so genannter IM-Romeo-Agent Lars Weber sitzt er zu Beginn von Oliver Hirschbiegels ZDF-Event-Dreiteiler Der gleiche Himmel in einer DDR-Geheimdienstkaderschule, zusammen mit anderen jungen Anwärtern, um die weibliche Anatomie sowie das sexuelle Sozialverhalten des anderen Geschlechts genauer zu studieren: Ausschließlich im Staatsinteresse, versteht sich. Schließlich geht es hier um den Klassenkampf – und dafür sollen bei Bedarf gerne auch mal potentielle Informantinnen gevögelt werden. “Blicken Sie einer Frau immer durch das linke Auge“, doziert der Spitzellehrer seinen ambitionierten Eleven, die allesamt noch wie Milchbubis aussehen – und Tom Schilling ist dafür bekanntermaßen seit Jahren im deutschen Filmschaffen prädestiniert. Seine kleinen Rehleinaugen, sein immer etwas zu drahtig-schmächtiger Gang, dazu seine zarten Hände – und immer wieder dieser markante, jugendhaft-nachlässige Singsang in seiner nicht minder zarten Stimme.

Er ist in der Tat eine absolute Traumbesetzung für diesen ebenso ominösen wie galanten MfS-Spitzel Lars Weber, um den herum Paula Milne (Die Kinder / The Virgin Queen / HIM) diesen weit verzweigten, in den 1970er Jahren unter dem geteilten Himmel der Stadt Berlin spielenden – und darüber hinaus mit zahlreichen Nebensträngen hantierenden – Mega-Fernsehfilm (mit dreimal 90 Minuten in der deutschen ZDF-Fassung) konstruiert hat. Ursprünglich als sechsteilige Mini-Serie konzipiert und bereits im letzten Jahr unter lautem Getöse im Rahmen der renommierten Mipcom-Fernsehmesse in Cannes uraufgeführt, eilte ihr in der hiesigen Branche ein gewisser Ruf voraus.

Ein durchaus positiver, schließlich hatte das umtriebige Produzentengespann um Nico Hofmann (Ufa Fiction) und Jan Mojto (Beta Film) in jüngerer Zeit bereits die Erfolgsproduktionen Unsere Mütter, unsere Väter oder Deutschland 83 verantwortet: Beide Mini-Serien wurden zwar insgesamt recht kontrovers rezipiert, konnten allerdings am Ende sogar international reüssieren, was für deutschsprachige Serienproduktionen nach wie vor alles andere als der Normalfall ist. Im ersten Fall gewannen die Macher dafür obendrein noch einen International Emmy Award und der Regisseur Philipp Kadelbach drehte schließlich kurz darauf für die BBC Films eine neue, ebenso mit Spannung erwartete Mini-Serie (in fünf Teilen): SS-GB, deren erste Episode – analog übrigens zu Der gleiche Himmel – auf der diesjährigen Berlinale präsentiert wurde.

Umso enttäuschender ist nun das Ergebnis, das nach seiner Primetime-Ausstrahlung im ZDF jetzt auch parallel als DVD erschienen ist. Vollmundig als großes Kino fürs Fernsehen wochenlang angekündigt, wurde diese langatmig-biedere deutsch-deutsche Familiengeschichte diesseits und jenseits der Mauer im Resultat doch nur in reichlich brav-routinierte Werktagabendfernsehbilder (Kamera: immerhin Judith Kaufmann!) umgesetzt. Wenigstens der detailverliebte Ausstattungswahnsinn aus der Ideenschmiede des erfahrenen Set-Design-Masterminds Bernd Lepel kann teilweise überzeugen, wenngleich dem Kreativteam um Oliver Hirschbiegel (Der Untergang / Elser) und Paula Milne bisweilen durchaus auch historische Ungenauigkeiten unterlaufen sind: Manche DDR-Schrankwand zu viel wirkt in der Summe einfach reichlich deplaziert, manche gezeigte Einbauküche oder Kunstperformance stammt eigentlich aus den frühen 1980ern – und keinesfalls aus dem Jahr 1974, in dem diese Mauerblümchen-Saga mit viel Schmu in den Augen von Tom Schilling zeithistorisch verortet ist.

Schlichtweg allzu vieles kommt in jener hochbudgetierten Prestigeproduktion sowohl visuell (wie oft muss man eigentlich noch auf ein schwarzweißes Familienfoto mit einer Mutter und zwei Kindern, die früh voneinander getrennt wurden, draufhalten, um ja nichts zu verraten?!?) als auch narrativ mit dem Holzschlaghammer daher, damit es wirklich auch jeder (anvisierte RTL-Zuschauer?) rafft. Überraschende Wendungen, zwielichtige Charaktere oder gar einen Funken Spannung sucht man hier vergebens: Immerhin in sage und schreibe 270 Minuten.

Stattdessen: Handlungsplattitüden und zeitgeschichtliche Klischees en masse. Ja, die DDR war schlimm. Darin wurden sogar schon die jüngsten Nachwuchsschwimmerinnen gedopt. Es wurden Fluchttunnel gebaut, es wurde flächendeckend jeder Genosse und jede Genossin ausspioniert. Auf der anderen Seite der Berliner Mauer waren die smarten US-Boys natürlich die besten Freunde der traumatisierten Nachkriegsdeutschen, West-Berlin war das Schaufenster für den Kapitalismus, irgendwo im Untergrund zündelte weiterhin die RAF-Bande vor sich hin und im Hintergrund besang der selbst ernannte Panikrocker Udo Lindenberg sein geliebtes Cello und Rio Reiser durfte die fette alte Tante BRD in Trümmer zersingen. Und so weiter und so fort ...

Was wurden da nicht für ungeheure Chancen vertan? Ein an sich spannungsgeladenes Ost-West-Setting um Spionage, Sex, Überwachung, brisante Informationen und politische Paranoia im grellsten Jahrzehnt der Nachkriegszeit versüßlicht sich in Hirschbiegels Regie minütlich mehr hin zu einem ungenießbaren Kaubonbon, das jedwede Fragestellung im Keim erstickt und dermaßen gephotoshopt wie geglättet daherkommt, dass es wirklich nicht auszuhalten ist. Konspirieren im Park? Ja, wird gemacht. Wie so vieles hier nur gemacht wird: Kein Herzblut. Nirgends.

Dass aber mal jemand aus dem blassen Charakter-Karussell um Jörg Schüttauf, Sofia Helin, Godehard Giese, Friederike Becht und Ben Becker desertieren würde? Oder dass Paula Milnes zahnpastig-klebriges Herz-Schmerz-Drehbuch den interessierten Zuschauer wenigstens sekundenweise aus dem Dämmerzustand hinauskatapultieren würde? Am Ende ist Der gleiche Himmel von Konrads Wolfs genialer Christa-Wolf-Adaption von Der geteilte Himmel so meilenweit entfernt wie der öffentlich-rechtliche Dauerbrenner Um Himmels Willen von True Detective. Oder – noch mal frei nach Christa Wolf: Keine Spannung. Nirgends.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/der-gleiche-himmel