South of the Moon

Mehr als eine Coming-of-Age-Geschichte!

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Der zwölfjährige Coleman Hawkins scheint mit seinen langen Haaren und den Jeans-Klamotten ganz das Gegenteil seines soliden Vaters zu sein. Der ist aber sowieso kaum greifbar für ihn, stattdessen verbringt er lieber Zeit mit seinem flippigen Onkel Matt, der ein Faible für Sportautos, Frauen und Rock-Musik hat. Nicht zufällig scheint die Namensgleichheit mit dem 1969 verstorbenen Musiker zu sein, denn der ist nach der Meinung von Matt der größte Saxophonist, der je gelebt hat.
Coleman macht das, was alle Jungs in seinem Alter so machen. Er hängt mit seinem gleichaltrigen Kumpel ab und checkt mit ihm die (kaum vorhandenen) Muskeln, geht regelmäßig in den Schwimmverein, muss in der Schule Romeo & Julia lesen und verknallt sich in Alexa, eine Mitschülerin. Das löst natürlich auch erste sexuelle Regungen in dem Blondschopf aus und natürlich wird der Zuschauer nicht davor verschont, Coleman beim Onanieren in der Dusche zu beobachten. Einzig die immer wiederkehrenden Träume von einer ihm unbekannten Frau irritieren Coleman zutiefst. Denn obwohl ihm die Frau im wahren Leben nie begegnet ist, scheint es ihm, als würde er sie sein ganzes Leben lang kennen. Zwar kann ihm sein Onkel Matt darauf auch keine Antwort geben, aber viel wichtiger ist es sowieso, mit ihm im offenen Alfa Romeo namens "Lizzie" herumzufahren, gemeinsam Musik zu hören und das erste Bier mit ihm zu trinken. Außerdem hilft die unbeschwerte Zeit mit seinem Onkel dabei, die angespannte Stimmung zu Hause aufzuwiegen, denn die Eltern von Coleman liegen im Dauerclinch, der auch gerne mal handgreiflich wird. Und dann wird Coleman auch noch von einem Sport-Scout angesprochen, der ihn gerne in die Olympia-Mannschaft aufnehmen will.

Was bislang nach einer normalen Coming-of-Age-Geschichte und einem reinen Jungs-Film klingt, entwickelt sich Gott sei Dank zu weitaus mehr. Während sich zu Beginn alles darauf konzentriert, dass sich Coleman in seiner Sexualität entdeckt und damit auch in seiner Identität, so wird im Verlauf des Films ein viel größeres Szenario entwickelt. Eine überraschende Entwicklung der Geschichte mit einem noch überraschenderen Ende! Der weitere Plot soll denn auch nicht weiter ausgeführt werden, da dies den Überraschungseffekt zerstören würde. Nur so viel: In Rückblenden wird die Geschichte von Matt und seiner großen Liebe Mary McLaughlin erzählt, es geht um verpasste Chancen, eine Ménage à trois und haufenweise gebrochene Herzen. Coleman wird (fast) entjungfert, fährt (fast) zu Olympia und zu guter Letzt klären sich auch noch die nächtlichen Träume auf ...

Der junge Jake McLeod stellt wirklich sehr realistisch die Figur von Coleman Hawkins auf der Leinwand dar. Ähnlich wie im Film Boyhood liegt die Hauptlast des Filmes auf den zarten Schultern eines Teenies, der das Erwachen vom Jungen zum Mann überzeugend darstellt. Lediglich die Kussszene mit seiner Mitschülerin nimmt man dem Kleinen nicht wirklich ab. Aber da macht ja bekanntermaßen Übung den Meister. John Ralston als der zweite Hauptcharakter Matt Hawkins ist hingegen ein gestandener Schauspieler. In mehr als einem Dutzend Filme hat er bereits gespielt und ist in unzähligen TV-Filmen und Serien aufgetreten. Aber er nutzt keineswegs seine Erfahrung aus, um McLeod an die Wand zu spielen, sondern hilft ihm behutsam, sein Potenzial zu entfalten. Gemeinsam schaffen es die beiden, diesen Independent-Film zu einem durchaus sehenswerten Genuss zu machen. Auch wenn die Veröffentlichung der DVD in Deutschland erst acht Jahre nach der Produktion erfolgt, so ist das Thema an sich zeitlos und kann auch im Jahr 2016 ohne Abstriche gut gesehen werden.

South of the moon, der im August 2008 auf dem Montreal World Film Festival seine Premiere feierte, ist bislang der einzige Film von Regisseur Antonio DiVerdis. Vier Jahre Vorbereitungszeit bedurfte es, bevor er dann alles in Eigenregie gestemmt hat: Produktion, Co-Autorenschaft, Regie, Finanzierung und Vertrieb. Auch für den Soundtrack hat er die Stücke selbst geschrieben und wurde dafür 2009 auf dem Tiburon Film Festival mit dem Golden Reel Award ausgezeichnet. Was kaum verwunderlich ist, denn DiVerdis, besser bekannt unter dem Namen Tony Green, hat als Musiker bereits einige Billboardhits geschaffen und wurde dafür 1996 in die Canadian Dance Hall of Fame aufgenommen. Der umtriebige Mann ist als Inhaber von Stargaze Pictures, einer unabhängigen Produktionsfirma mit Sitz in Montreal, mit der Produktion von Film-, Fernseh- und Musikvideos beschäftigt. Sein zweites Standbein heißt Evolution Records, und dort agiert er als Songwriter, Sänger, Musiker und Musikproduzent.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/south-of-the-moon