Fucking Berlin

Studentischer Nebenjob: Prostituierte

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

"Berlin ist wie ein Rhythmus", sagt Sonja zu Beginn des Films Fucking Berlin, der diese Einschätzung auch gleich mit Bildern belegt: Junge Menschen tanzen in einem leicht angeranzten Club, an der Bar sitzt Sonja (Svenja Jung), wechselt ein paar Blicke mit Barkeeper Milan (Christoph Letkowski) und wacht am nächsten Morgen in seinem Bett auf. Zum Mathematikstudium nach Berlin gekommen, will Sonja ihre Freiheit genießen und sich verlieben. Tatsächlich trifft sie schon bald darauf Ladja (Mateusz Dopieralski), der aus Polen stammt und in Berlin einfach in den Tag hineinlebt. Sofort zieht er bei ihr ein, bei ihm glaubt Sonja zu finden, was sie suchte. Sie feiern, lieben einander, feiern, lieben einander, sogar wenn sie studiert, kommt er im Hörsaal vorbei, weil er Sehnsucht hat, und befriedigt sie oral. Denn Sonja ist nicht prüde, deshalb reagiert sie auf die Offenbarung, dass Ladja einst als Stricher sein Geld verdient hat, auch nur im ersten Moment wütend. Dann denkt sie kurz darüber nach, rennt ihm hinterher und will, dass er es nie wieder macht. Als sie dann erfährt, dass die Drogen, die sie bei Partys nehmen, bezahlt werden müssen, lässt sie sich von Ladjas Kumpel einen Job empfehlen – und landet nackt vor einer Chat-Kamera. Das ist ihr Einstieg in die Prostitution, mit der sie den Lebensunterhalt für Ladja und sich verdient.
Fucking Berlin ist die Verfilmung des gleichnamigen autobiographischen Bestsellers von Sonia Rossi. Dieser Film könnte vieles sein: die Geschichte einer Frau, die aus Liebe als Nutte Geld verdient; die Geschichte einer Sexarbeitern; die Geschichte einer Studentin, die mit Sex ihr Studium finanziert. Doch all dies ist dieser Film nicht, weil sich Drehbuch und Regie niemals zu einer Haltung durchringen können – weder der Geschichte noch der Hauptfigur gegenüber. Fast alles erscheint als Spiel, negative Seiten werden nahezu vollständig ausgespart. Vielmehr wird in schick-schäbigen Berlin-Bildern die familiäre Bordell-Idylle im Plattenbau ebenso einfangen wie die partygeschwängerten Clubabende, schwankt der Ton beständig zwischen Komödie und Drama und ist die Protagonistin unfassbar naiv und abgeklärt zugleich.

Sicherlich lassen sich einige Lücken in der Geschichte schon in der Buchvorlage finden. Auch dort ist die Liebe der Hauptfigur zu Ladja kaum zu erklären, erstaunt die Selbstverständlichkeit, mit der sie allein für den Lebens- und Partyunterhalt arbeitet, und wirken Erklärungen bemüht, dass sie ihre Unabhängigkeit nicht verlieren wolle und sich deshalb prostituiere. Jedoch trifft die Hauptfigur des Buches eigene Entscheidungen: Sie trennt sich zwar nicht von Ladja, aber sie beginnt eine Affäre mit Milan, den sie selbst als ihre große Liebe sieht. Sie spürt Auswirkungen ihrer Arbeit auf ihre Psyche, ihren Körper, ihr (Sex-)Leben; sie verschweigt negative Erlebnisse nicht, Abneigungen gegenüber Kunden und nicht jedes Bordell entpuppt sich als Hort der Wärme und Freundschaft. Dadurch ist der Ton des gesamten Buches abgeklärter und ausgewogener.

Im Stil von Fucking Berlin ist klar zu erkennen, dass er an Filme wie Feuchtgebiete und Mängelexemplar anschließen will, jedoch fehlen ihm eine eigenständige Visualität, eine starke Geschichte und letztlich auch die sehr guten Schauspieler_innen. Hauptdarstellerin Svenja Jung gelingt zwar mühelos die optische Transformation zwischen Studentin und Hure, aber das Drehbuch gibt ihr keinerlei Gelegenheit, tatsächlich Tiefe zu entwickeln. Denn Fucking Berlin erzählt nicht von einer jungen Frau, die sich für diesen Weg entscheidet oder wie bspw. in Feuchtgebiete ihre Sexualität erforschen will. Stattdessen schlittert Sonja durch ihr Leben und kommentiert es beständig aus dem Off mit Worten, die eine Reife andeuten sollen, die einfach nicht zu finden ist, und Sätzen, die so banal wie das Lied sind, das Ladja ihr auf dem Dach eines Wohnhauses singt. Fucking Berlin will provokant sein, schreckt aber vor allem zurück, was an seiner Hauptfigur oder Geschichte verstören oder gar irritieren könnte und dadurch lässt er jegliches Profil vermissen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/fucking-berlin