Der Mann nebenan

(The) Psycho Next Door

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Anthony Perkins als Psychopath mit ungesundem Verhältnis zu einer strengen Mutterfigur – diese Beschreibung lässt natürlich sofort an den Motelbesitzer Norman Bates aus Psycho (1960) denken. Dennoch ist Petra Haffters Werk Der Mann nebenan aus dem Jahre 1991 mehr als eine der zahllosen Kopien des Alfred-Hitchcock-Klassikers. Die deutsche Filmemacherin hat den Ruth-Rendell-Roman A Demon in My View (1976) kongenial adaptiert, indem sie zwei zentrale Stärken von Rendells Arbeit übernahm: die präzise Beobachtung von (zwischen-)menschlichem Verhalten sowie das clevere Spiel mit absurden Zufällen.
Der Mann nebenan erzählt von einem seit langer Zeit polizeilich gesuchten Mörder im fiktiven Londoner Vorort Kenbourne Vale. Um einen whodunit handelt es sich bei diesem Film allerdings nicht. Rasch ahnt man als Zuschauer_in, dass der von Perkins verkörperte Arthur Johnson der berüchtigte "Kenbourne Killer" ist – etwa wenn er seinem Vermieter (Stratford Johns) eine Spur zu vehement beteuert, nichts zu verbergen zu haben, oder wenn er im verwinkelten Keller des Hauses umherschleicht, wo er ein recht sonderbares Verhältnis mit einer Schaufensterpuppe unterhält. Hinzu kommen Rückblenden, die Einblicke in sein schwieriges Heranwachsen geben. Arthurs Alltag wird empfindlich gestört, als ein junger Mann mit ähnlichem Namen – Anthony Johnson (Uwe Bohm) – in das Haus einzieht. Der Student aus Hamburg, der hofft, dass seine Geliebte Helen (Sophie Ward) endlich ihren eifersüchtigen Gatten (Hans Peter Hallwachs) verlässt und ihm nach England folgt, entdeckt die Plastikpuppe zufällig und nutzt sie für ein Straßenfest. Dies führt dazu, dass Arthur seinem Drang zu morden erneut nachgibt.

Das Psychogramm eines von schrecklichen Kindheitserinnerungen geplagten Menschen, das Haffter nach Rendells Vorlage entwirft, ist nicht frei von Klischees und wird mit einigen audiovisuellen Übertreibungen umgesetzt. Die grelle Inszenierung der Morde hat einen deutlichen pulp-Charakter. Dank Anthony Perkins gleitet der Film jedoch nie gänzlich in exploitation-Gefilde ab. Der charismatische Schauspieler ist hier in einer seiner letzten Rollen vor seinem frühen Tod im September 1992 zu sehen und interpretiert den Part mit großem Feingefühl. Uwe Bohm verkörpert als lebenslustiger Jungspund, der schnell Anschluss in seiner neuen Umgebung findet, die Kontrastfigur zum introvertierten und traumatisierten Arthur und wirkt dabei sympathisch. Überaus gelungen ist die Darstellung des Mietshaus-Kosmos, der mit seinen schrulligen Bewohnern an die Welten vieler John-Irving-Romane erinnert. Gleiches gilt für die Verkettung komischer, tragischer und makabrer Umstände. Die Eigenheiten des Schauplatzes – etwa die "unhaltbare" Müllsituation, über die sich Arthur in einem Brief an das Bezirksamt auslässt – werden von Haffter geschickt in das Geschehen eingewoben.

Die DVD bietet einen kurzen Blick hinter die Kulissen samt Interviews. Was Petra Haffter darin über das Geschlechterverhältnis in der Filmbranche sagt, hat auch mehr als zwei Dekaden später nichts von seiner Gültigkeit verloren. Die Statements von Anthony Perkins, der erklärt, es habe ihn gereizt, mit einer "young lady" aus Deutschland zu drehen, zeigen den begabten Mimen als sehr humorvollen, freundlichen Menschen. Mit Der Mann nebenan konnte er sein Talent erfreulicherweise noch einmal eindrucksvoll demonstrieren.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/der-mann-nebenan