The Mysterious Death - Die Gewalt vergessener Träume

Gemeinsam einsam

Eine Filmkritik von Falk Straub

Ein unangekündigter Gast, ein verstörender Selbstmord und viele offene Fragen – Zutaten, die nach einem Krimi klingen. Dramatiker David Hare vermengt diese in seinem Kinodebüt The Mysterious Death – Die Gewalt der vergessenen Träume zu einem rätselhaften Drama. 1985 erhielt der Film bei der Berlinale den Goldenen Bären, den er sich mit Rainer Simons Die Frau und der Fremde teilte.
David Hare kommt vom Theater. Das ist seinem Debütfilm, der auf DVD den furchtbar ungelenken und unnötig plakativen Titel The Mysterious Death – Die Gewalt der vergessenen Träume trägt, deutlich anzumerken. Trotz dreier Zeitebenen würde Hares Drama wunderbar auf der Bühne funktionieren. Drei Jahrzehnte nach seinem Erscheinen hat Wetherby, so der schlichte, nach dem Ort des Geschehens benannte Originaltitel des Films, nichts von seiner Rätselhaftigkeit eingebüßt.

Das Rätsel nimmt an einem geselligen Abend seinen Lauf. Die alleinstehende Lehrerin Jean Travers (Vanessa Redgrave) hat zwei befreundete Paare (Ian Holm, Judi Dench, Tom Wilkinson, Marjorie Yates) zu einer kleinen Dinnerparty eingeladen. John Morgan (Tim McInnerny) mischt sich unter die Gäste. Jeder der Anwesenden denkt, der Fremde sei in Begleitung des anderen erschienen. Am folgenden Tag erschießt er sich vor der Gastgeberin. Kurz darauf nistet sich eine alte Bekannte (Suzanna Hamilton) des Verstorbenen bei Jean ein. "Selbstmord ist nicht strafbar, auch wenn man ihn vor jemand anderem begeht", bringt der ermittelnde Kommissar (Stuart Wilson) das Dilemma auf den Punkt. Im Grunde gibt es nichts zu ermitteln, und dennoch treibt die Frage nach dem Warum alle Betroffenen um.

Der Plot klingt nach einem klassischen Kriminalfilm. Dass David Hare damit nichts im Sinn hat, macht er gleich nach dem Suizid deutlich, wenn er unvermittelt 30 Jahre in der Zeit zurückspringt und die junge Jean (Joely Richardson) mit ihrem Verlobten Jim Mortimer (Robert Hines) zeigt. Eine Erinnerung – oder eine Emotion? –, die Morgans Tat in ihr auslöst. In kontrastreich ausgeleuchteten Interieurs, die an das Chiaroscuro der Spätrenaissance erinnern, das durch die mittelmäßige Qualität der DVD aber nur bedingt zum Ausdruck kommt, springt Hare fortan zwischen drei Zeitebenen hin und her. Virtuos verschlungen erzählt er Jean Travers' tragische Liebesgeschichte aus den 1950er Jahren sowie die Vor- und Nachgeschichte des Selbstmords. Langsam fügen sich die Puzzlestücke zusammen. Doch das Gesamtbild bleibt unscharf, verschwimmt im Halbdunkel der Erinnerung(en).

"Ich habe jetzt erfahren, dass ich nur Beiwerk war. Die eigentliche Geschichte lief woanders ab", berichtet der Kommissar Jean vom Ende seiner Beziehung. Sein Fazit könnte für den gesamten Film gelten, schließlich inszeniert David Hare mit so vielen losen Enden, dass einen beständig das Gefühl beschleicht, das Wesentliche zu übersehen. Doch Hare interessiert sich nicht für einfache Lösungen. Stattdessen zeigt der Regisseur und Drehbuchautor, was das verstörende Ereignis in allen Beteiligten auslöst, wie es ihre Beziehungen beeinflusst, welches Resümee sie aus Morgans Tat für ihr eigenes Leben ziehen.

Hier geht es nicht um Intrigen und Ränke wie in den Königsdramen Shakespeares, die Jean im Englischunterricht mit ihren Schülern durchnimmt. Hier geht es um Gefühle, die den Protagonisten nach Jahrzehnten der Ehe und nach fünf Jahren Politik unter Margaret Thatcher verlustig gegangen sind. Die Figur des John Morgan – ob man sie als reale Person oder als eingebildeten Wiedergänger einer verflossenen Liebe interpretiert – steht für diese Emotionen; rein, ungefiltert, ein Spiegel von Jean Travers' Seele. Wetherby ist ein Film über Einsamkeit – allein und gemeinsam erlitten. Das hervorragende Ensemble, allen voran Vanessa Redgrave und Ian Holm, lassen die Zuschauer diese Einsamkeit spüren.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/the-mysterious-death-die-gewalt-vergessener-traeume