Die Leiche der Anna Fritz

Moralische und aktive Brutalität

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Eines Abends besuchen Javi (Bernat Saumell) und Ivan (Cristian Valencia) ihren Kumpel Pau (Alberto Carbó) im Krankenhaus, der dort in der Pathologie arbeitet, um ihn zu überreden, später mit ihnen auszugehen und schon einmal heimlich gemeinsam mit einer Prise Koks und einem Drink vorzuglühen. Pau ist zunächst wenig begeistert, denn er mag seinen Job, der ihm heute eine ganz besondere Leiche beschert hat: Die populäre junge Schauspielerin Anna Fritz (Alba Ribas) ist unter noch ungeklärten Umständen zu Tode gekommen und lagert im Keller der Klinik. Nach einer kleinen Rauschrunde ist Pau dann bereit, seinen Freunden die hübsche Leiche zu zeigen ...
Die Leiche der Anna Fritz als Spielfilmdebüt des spanischen Regisseurs Hèctor Hernández Vicens kommt rasch zur Sache: Das schnodderige, rauschfreudige Trio mit seinen sexistischen Sprüchen folgt unverblühmt dem absurden Impuls, den Leichnam der scheinbar Toten zu missbrauchen, zumal Pau von einschlägigen Erfahrungen in dieser Richtung schwärmt. Der forsche Ivan vergewaltigt Anna zuerst, und als Pau an der Reihe ist, sich an der vermeintlichen Leiche zu vergehen, erwacht die verwirrte Frau zum Entsetzen ihrer Schänder. Nun ist es vor allem Ivan, der sofort vorschlägt, die Schauspielerin endgültig zu eliminieren, um seine Tat zu vertuschen, während Javi an ihre schnelle Rettung denkt. Es kommt zum handgreiflichen Streit zwischen den beiden Freunden, bei dem Javi schwer veretzt wird. Nun sind es Ivan und Pau, die entscheiden müssen, wie sie mit der eskalierten Situation umgehen, zumal Anna schnell begreift, in welcher Gefahr sie nun schwebt.

Die Andeutungen und Ansätze von Nekrophilie und Horror als Ausrichtungen des Films verpuffen auf diese Weise früh im Verlauf der Dramaturgie, die sich gen Krimi mit allenfalls flachem moralischem Hintergrund entwickelt. Die Figuren verharren in ihrer grob skizzierten Fassung als Symbole zwischen Skrupellosigkeit, Humanismus und Unentschlossenheit, ohne dass die Widerständigkeit des Todes anders als funktionell betrachtet wird. Die Frage, wer am Ende wie überleben wird, erzeugt keine geringe Spannung, ebenso wie zuvor die Entscheidungsfindung darüber, was mit der lebendigen Anna zu geschehen hat. Der Schluss des sich lediglich über 74 Minuten erstreckenden Films wiederum erscheint folgerichtig, denn eine differente Konstellation würde über seine karge Thematik hinausragen und eine deutlich filigranere Geschichte verlangen, die hier auf wenige Effekte und Entwicklungen beschränkt bleibt.

In dieser Konzentration auf eine umgebungsarme Handlung und die Darstellung der reduktionistisch wirkenden Konfliktsituation verbleibt Die Leiche der Anna Fritz mit seiner moralischen wie aktiven Brutalität – trotz seiner Länge und seiner durchaus souveränen Inszenierung – im Bereich eines skandalösen Videos, das tabuisierte Territorien im Lichte einer derben Pietätlosigkeit anreißt und in fragmentarische, recht gewöhnliche Aktionsstandards abgleiten lässt. Auch die drastische Schlusssequenz mildert den einfallslosen Sexismus nicht, der sich plakativ durch die Dialoge und Haltungen der plumpen Protagonisten zieht, die nicht einmal das altmodische Klischee des Machismus ausreichend erfüllen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/die-leiche-der-anna-fritz