Rafiki - Beste Freunde

Kinder an die Macht

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Da saust ein Schlitten in einem kleinen Städtchen im winterlichen Norwegen einen Berg hinab, und bald darauf liegen drei Mädchen lachend im Schnee: Julia (Live Marie Runde), Naisha (Ado Johanna Giripio) und Mette (Regine Stokkevåg Eide) besuchen dieselbe Klasse in der Dorfschule und sind zudem ganz enge Freundinnen. Als es just in diesem Moment erneut zu schneien beginnt, wünscht das Trio sich ganz fest, für immer beste Freundinnen zu bleiben, wobei das ursprünglich aus dem Arabischen stammende Wort Rafiki – Freund, das Naisha aus ihrer ostafrikanischen Heimat kennt, ihnen als verbaler, inniger Code für ihren Pakt dient.
Diese fröhliche Skizzierung der Mädchenbande bildet den Auftakt des norwegischen Spielfilms Rafiki – Beste Freunde von Christian Lo aus dem Jahre 2009, der auch in der Sektion "Generation" im Rahmen der Berlinale 2010 aufgeführt und für den Gläsernen Bär nominiert wurde. Beim Internationalen Kinderfilmfestival in Montréal erhielt der Film den Spezialpreis der Jury sowie den Publikumspreis beim schweizerischen Festival Castellinaria für junges Kino. In Deutschland erscheint dieser Kinderfilm um das Schicksal einer Flüchtlingsfamilie – sowohl zum aktuellen politischen Reizthema als auch zur Vorweihnachtszeit passend – nun bei FilmConfect direkt auf DVD

Am nächsten Tag, als sie nach der Schule gemeinsam bei Naisha sind, die mit ihrer Mutter Salome (Teri Mungai) in einer Flüchtlingsunterkunft lebt, besiegeln die Mädchen ihre Verbundenheit durch eine Kette mit einem Dreierfoto als Anhänger, für jedes eine. Doch die nahende Katastrophe wirft bereits ihre Schatten voraus: Mutter und Tochter sollen aus Norwegen ausgewiesen werden, und zwar schon ganz bald das Land verlassen, wie Julia sozusagen aus Versehen zu Hause von ihrem Vater (Jonathan Espolin-Johnson) erlauscht, der Polizist ist. Doch auch Salome weiß offensichtlich schon Bescheid und versteckt sich mit Naischa bei Freunden, um der unfreiwilligen Umsiedlung nach Jahren im Lande zu entgehen. Julia informiert Mette, beide wollen helfen und auf keinen Fall ihre Freundin verlieren, doch dann eskaliert die Situation, als Julias Vater seine Tochter drängt, den Aufenthaltsort der Flüchtigen preiszugeben...

Da gibt es einige Konflikte in dieser engagierten Geschichte, die von kleineren Streitereien bis hin zu einer ganz ernsthaften, existenziellen Krise der Kinder führen: Naischas Lebensweg ist von erneuter Entwurzelung und einer beängstigend ungewissen Zukunft bedroht, während Julia einerseits mit ihrem "Verrat" der Freundin ringt, deren Verlust sie befürchten muss, und zusätzlich die moralische Haltung ihres Vaters anzweifelt. Wohl in der Absicht, auch ein junges Publikum bereits für die schwelenden Schwierigkeiten um die Flüchtlingsthematik zu sensibilisieren und dabei ein ganz persönliches Schicksal zu fokussieren, hat Regisseur Christian Lo einen fiktiven Stoff inszeniert, der gleichermaßen Raum für Alltagsgeschehen und für Abenteuer vor tragischem Hintergrund schafft. Als es brenzlig wird, laufen seine kleinen Heldinnen trotz ihrer Ängste zur Höchstform auf, überwinden ihre Schwächen und werden dafür mit einem doch noch versöhnlichen Ende belohnt. Auch wenn dieses letztlich allzu märchenhaft anmutet, bietet es doch eine Vision der Menschlichkeit und der Hoffnung angesichts ungezählter ungeklärter Entwicklungen von Flüchtlingen, die ihr Gastland wieder verlassen mussten.

Auch angesichts seiner finalen Milde eignet sich der Film gut für die angegebene Altersklasse ab sechs Jahren, wobei etwas ältere Kinder sicherlich einen intensiveren Zugang zur Thematik erfahren. Als Impuls für Gespräche mit Kindern über die Situation von geflüchteten Menschen in vielerlei Aspekten kann das norwegische Drama mit seiner offenen Ausrichtung alle Male dienen. Dass die Kinder kurzerhand listig ins Parlament einfallen und sich auf diesem Terrain Gehör verschaffen, erinnert zwar durchaus an einen gefälligen Superheldenmodus, symbolisiert hier jedoch auch die Forderung nach transparenter Diskursivität der Rechtspraxis einer Gesellschaft, die sich als humanistisch begreift. Bei all seiner schwerlastigen Problematik erzählt Rafiki – Beste Freunde jedoch in erster Linie vom schlichten Zauber einer Kinderfreundschaft über kulturelle Unterschiede hinweg, von drei Verschwörerinnen, die zusammen lachen und -halten, sich gegenseitig unterstützen und mit rührender Romantik einen Bund beschließen, dessen Fortbestand nur in geringem Maße ihrem Einfluss unterliegt. Auch wenn der Film die Darstellung der Tücken im Tagesgeschehen der Protagonistinnen wohlweislich nicht vermeidet, punktet er doch kräftig mit dem infantilen Idealismus, an dessen Vergnügen, Charme und Kraft er dadurch diskret gemahnt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/rafiki-beste-freunde