Die Engel von St. Pauli

"Hier ist St. Pauli und keine Wiener Zuckerbäckerei"

Eine Filmkritik von Martin Beck

Und wieder einmal deutsches Bahnhofskino, diesmal in Gestalt einer psychotronischen Milieustudie aus dem St.-Pauli-Kiez, der 1969 anscheinend kurz vor Bronx-Status stand. Miese Luden, Gangsterbanden, viel Gewalt, überall Brüste und hinterherhechelnde Polizisten – Die Engel von St. Pauli taucht ganz tief ein in diesen Sündenpfuhl und krault mit einer auf Turbo-Schnodder geeichten Zeitmaschine durch eine süßlich dampfende Exploitationkloake. Man kann ihn förmlich vor sich sehen, den damaligen "Wir raten ab"-Stempel des Katholischen Filmdienstes.
Was Ende der sechziger Jahre noch als verpöhnter Schmuddelkram galt, gehört heutzutage natürlich längst zum guten Ton progressiver Trash-Hipster, die Jürgen Roland schon mal die Hand geschüttelt haben und den St.-Pauli-Kanon vollständig im Mediabook-Schrein vereinen. Zinksärge für die Goldjungs, Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn, Fluchtweg St. Pauli – im doch angeblich so kühlen Hamburg fliegen immer wieder die Fetzen, gerne gepaart mit wummernden Porno-Beats und käsehaltigen Kalauer-Diaogen. "Macht euch erstmal eine Brosche dran, damit man sieht, wo vorne ist." Das mit der Stripper-Karriere sollten sich die flachbrüstigen Dirnen wirklich nochmal überlegen.

Aber so ist er nun mal, der Umgangston in der Hamburger Unterwelt, dessen unentwegte Zitierschleuder eines der besten Argumente für Die Engel von St. Pauli darstellt. Wo die eigentliche Geschichte, die den durch den gewaltsamen Tod einer Nutte angeheizten Kampf zweier Zuhälterbanden erzählt, eher episodenhaft und relativ handzahm bleibt, wird mit dem ganzen Drumherum so richtig abgeräumt. Die Dialoge sind einfach feinste Gossenklassiker, das damalige Ambiente wirkt wie ein Dieter-Thomas-Kuhn-Konzert "in echt" und die hier auflaufenden Typen brauchen einen Waffenschein für ihre Visagen.

Besonders dekorativ geben sich dabei die beiden Hauptdarsteller, Horst Frank und Herbert Fux, die ihre Szenen mit Haut und Achselhaaren auffressen, und auch Werner Pochath, der alte Nuttenkiller, beweist sich als Meister des expressiven Ausdrucks. Praktisch alle Darsteller von Die Engel von St. Pauli spielen über Normalpegel, was ihren schmierigen Figuren nochmal zusätzlich Zunder gibt und dem Vergnügen kantige Retro-Argumente verschafft. Auch wenn Regisseur Roland hinter vergleichbaren italienischen Exzessen bleibt, was Geschrei und Gewalt angeht, als nostalgisches Gesamtkunstwerk, das außerdem noch ziemlich schnittig und erfreulich straßennah inszeniert ist, wird hier schippenweise Zeitkolorit geatmet.

Die Engel von St. Pauli ist durch und durch ein Produkt seiner Zeit und genau deswegen entweder faszinierend oder irritierend. Jenseits des immensen Unterhaltungswertes, der sich je nach Geschmackslage an der damaligen Reeperbahn-Ästhetik, den wippenden Brüsten der feschen Mädels oder den schmierigen Gesichtsbarraken festmachen kann, darf hier auf jeden Fall der Sammlertrieb durchbrechen. Der für obskure B-Heuler mit deutschen Vibes so viel Sympathie erübrigen sollte wie die emsigen Jungs hinter Subkultur Entertainment, die hier mit der ganz großen Politurflasche am Werk waren. Nicht nur gibt es überhaupt eine Blu-Ray, nein, sie sieht auch noch prächtig aus und kommt mit einer ganzen Latte interessanter Extras – wie zum Beispiel einem Audiokommentar von Jürgen Roland oder Interviews mit Horst Frank und Herbert Fux. Völlig unabhängig von jeder Geschmacksfrage: Eine vorbildliche Veröffentlichung, garniert mit Liebe und Mut. Einfach toll!

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/die-engel-von-st-pauli