Winterkrieg

David gegen Goliath

Eine Filmkritik von Martin Beck

Gerade als man glaubte, der Zweite Weltkrieg sei inzwischen komplett abgefilmt, schlägt Winterkrieg ein weitgehend unbekanntes Kapitel dieser grausigen Historie auf. Im Winter 1939 beschloss Stalin, angetrieben durch einen Nichtangriffspakt mit Deutschland, sein Invasionsglück in Finnland zu versuchen. 500.000 sowjetische Soldaten marschierten daraufhin los und trafen auf eine finnische Armee, die in allen Belangen hoffnungslos unterlegen war. Das Einzige, was den nordischen Mannen nun noch helfen konnte, war ein klassisches David-gegen-Goliath-Wunder.
Und genau dem war auch so – was nicht gerade ein Spoiler ist, denn Winterkrieg ist eine finnische Großproduktion, die wie so viele andere Großproduktionen aus anderen Ländern von dem jeweils entscheidenden Befreiungskampf erzählt. Das Besondere an diesem Film ist seine dezitiert realistische Herangehensweise, die die eigentlich mögliche patriotische Steilvorlage nicht verwandelt und stattdessen lieber auf grimmige Intensität setzt. Krieg heißt hier Leiden, Entbehrung, sinnloses Morden und eine kaum enden wollende Kakophonie aus Explosionen und Kampfgeschrei. Auch wenn die Russen nur als übermächtige "schwarze" Masse gezeigt werden, knarzige finnische Helden gibt es deswegen noch lange nicht.

Die Protagonisten des Films sind vielmehr strapazierte arme Schweine, bei denen die Hauptfrage lautet, wie lange sie dem Tod noch von der Schippe springen können. In gewisser Weise hat Regisseur Pekka Parikka sogar einen Antikriegsfilm geschaffen, so deutlich werden hier die widrigen Umstände und der verzweifelte Überlebenskampf geschildert. Die Figuren entsprechen auch keinen gängigen Klischees, sondern geben sich so, wie man sich selbst wohl in dieser Situation verhalten würde. Besonders nahe kommen einem dabei Martti Hakala (Taneli Makela) und sein jüngerer Bruder Paavo (Konsta Makela), über deren Sichtweise die massiven Geschehnisse auf intime Größe heruntergebrochen werden.

Und massiv ist hier einiges, besonders im Verhältnis zu Finnlands filmischen Möglichkeiten. Winterkrieg ist eine waschechte Großproduktion, die selbst in der behutsamen Anfangsphase, als geschickt die Situation und die Hauptcharaktere etabliert werden, ein enorm breites Panorama offenbart. Und wenn dann erst einmal die Schlacht losgeht, wird wortwörtlich stundenlang gekämpft – mit Panzern, Flugzeugangriffen, Statistenmeeren und so vielen Explosionen, bis jeder Baum auf dem Schlachtfeld in die Horizontale gesprengt wurde. Krieg als Dröhnung, Krieg als abstumpfende Repetition. Statt auf den genialen Kniff des Anführers zu warten, folgen lieber Angriffe, Gegenangriffe, weitere Angriffe und dann wieder Gegenangriffe.

Was man Winterkrieg vorwerfen kann, ist die nicht unbedingt innovative Struktur, die auch sämtliche Genre-Standards, wie zum Beispiel fiese Befehlshaber, den wachsenden Zusammenhalt in der Truppe, durchdrehende Soldaten oder heimatliche Traumata abfrühstückt. Auf der anderen Seite steht dafür der bereits angesprochene Realismus, der die Klischees kaum als solche erkenntlich macht und sich darüber hinaus drastische Brutalitäten leistet. Kein Film für zarte Gemüter, sondern vor allem eine ungeschönte Darstellung von Wahnsinn und Sinnlosigkeit, fast vollständig befreit von Pathos.

Winterkrieg lief unter anderem im Wettbewerb der Berlinale und war Finnlands Oscarbeitrag im Jahr 1990. Die Jahre, die der Film auf dem Buckel hat, sieht man ihm überhaupt nicht an, höchstens wenn man irgendwann irritiert nach CGI-Hintergründen sucht und sie nicht findet. Das Label Pandastorm veröffentlicht den Film zum einen in der regulären, gut zweistündigen Fassung, und zum anderen in der klar vorzuziehenden Langversion, die selbst über 193 Minuten nicht langweilig wird. Zusätzlich sind hier noch ein Interview mit einem Militärhistoriker und sehr interessante Wochenschauen und Radiobeiträge enthalten. Bild und Ton wurden einem umfangreichen Remastering unterzogen und sind demzufolge tip top.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/winterkrieg