Best of Wim Wenders

Der Stand der Dinge, Im Lauf der Zeit

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Von seinen fiktiven und dokumentarischen Stoffen über die Charaktere und Protagonisten bis hin zu den Bildern, den Schnitten, der Sprache und der Musik: Die einzelnen Elemente, die das Gesamtwerk Film ergeben, sind für sich genommen sowie in ihrer Kombination in außergewöhnlichem Maße sorgfältig, sensibel, stimmungsvoll und schlüssig gestaltet, wobei dem Titel nicht selten eine besondere, amphibolische Bedeutsamkeit zukommt. Diese grobzügige, abstrakte Beschreibung der Werke des Filmemachers Wim Wenders im Allgemeinen lässt sich leicht noch mit Schlagwörtern wie Autorenkino, Existenzialismus, Road Movie und Film im Film ergänzen, ohne sich dadurch erheblich zu konkretisieren. So sehr seine Filme auch überwiegend prägnante Einzelstücke darstellen, lassen sie sich doch auch wunderbar aufeinander referierend analysieren und interpretieren, weisen formale und thematische Kontingenzen sowie spezifische Entwicklungen auf und bilden auch in filmhistorischer Hinsicht ein prägnantes Paket prächtiger Parabeln.
Zehn Filme von Wim Wenders wurden im Rahmen der Reihe "Hommage" der diesjährigen Berlinale, die den Regisseur mit dem "Goldenen Ehrenbären" für sein Lebenswerk ehrte, aufgeführt, und anlässlich seines 70. Geburtstags am 14. August erscheint bei Arthaus die Edition Best of Wim Wenders, die ebenfalls zehn seiner Werke aus den Jahren 1973 bis 2000 präsentiert. Beide Werkwürdigungen wählten die teilweise durch die Wim Wenders Stiftung nunmehr restaurierten Filme Alice in den Städten (1973), Der amerikanische Freund (1977), Paris, Texas (1984), Der Himmel über Berlin (1987), Bis ans Ende der Welt (1991) als Director's Cut sowie The Million Dollar Hotel (2000) aus, während die DVD-Sammlung noch Der Stand der Dinge (1982), In weiter Ferne, so nah! (1993), Lisbon Story (1995) und Buena Vista Social Club (1999) ergänzte. Beinahe dreißig Jahre filigrane Filmkunst versammeln sich hier, die von ausführlichem Bonusmaterial begleitet und kommentiert werden.

Einsam erscheinende Wesen säumen die ungezählten Orte seiner Geschichten voller Unwegsamkeiten und Distanzen, behütet von Poesie und Musik, die einen so außergewöhnlichen wie würdigen und wirkungsmächtigen Stellenwert im Schaffen Wim Wenders' einnehmen und einer kruden Kälte sowie einem arroganten Zynismus entgegenflüstern. Dabei mildert eine in starken Bildern ausgeprägte Zartheit von Nähe und Emotionen den potenziellen und tatsächlichen Pessimismus der Protagonisten, die zwar oftmals in sanfter Komik demaskiert, doch niemals zugunsten populärer Effekte verhökert werden. Auf diese Weise entstehen treffsichere und künstlerisch ansprechende Abbildungen von menschlichen Befindlichkeiten und Beziehungen, die von geradezu universellen Erfahrungen und Erlebnissen zeugen, deren Visualisierung nicht selten verschüttete und vergrabene Ängste, Sehnsüchte sowie Inspirationen und Visionen beim Zuschauer berührt, provoziert und auch schon mal explodieren lässt.

Ist er doch ein passionierter Photograph, dessen aktuelle Ausstellung mit dem kuriosen Titel 4 REAL & TRUE 2 im Düsseldorfer Museum Kunstpalast noch bis zum 30. August verlängert wurde, hat er die Kameraarbeit für seine Filme doch vor allem gern der Koryphäe Robby Müller anvertraut, und die beiden Visualisten verbindet eine markante, kostbare Kooperation. Zur Verkörperung und Visagierung seiner männlich dominierten (Anti-)Heldenschar setzte Wim Wenders gern auch wiederholt Schauspieler wie zuvorderst Rüdiger Vogler, aber auch Bruno Ganz und Otto Sander ein, die wunderbar individualistische und nachhaltig beeindruckende Figuren mit Kauz- und Kultqualitäten vitalisierten. Doch ebenfalls Harry Dean Stanton als abgrundtiefer Travis in Paris, Texas, Hanns Zischler als "Kamikaze" Robert in Im Lauf der Zeit sowie Sam Shepard als abgetakelter Hollywoodstar in Don't Come Knocking sind unter der Regie Wim Wenders zu legendären Charakteren avanciert, die das jeweils vorherrschende Männerbild ihrer Epochen vergnüglich karikieren.

Musik als Inspiration und Motivation, Musik als Stimmungsträgerin und Musik als Vehikel zum zuverlässigen Transport von Poesie, Melancholie und Trost: Der Filmemacher Wim Wenders, dessen persönliche Ausstrahlung mit den Jahren deutlich an Charme und Charisma sowie Sanftheit und Sentiment gewonnen hat, wie aktuelle Interviews erahnen lassen, hat in den beinahe fünfzig Jahren seiner filmischen Kreativität von Musik als unerlässlicher, wertvoller Grundkonstante geradezu gelebt. Seine Filme und seine Form der Gestaltung bergen somit eine interdisziplinäre Komponente der Verknüpfung unterschiedlicher Ausdrucksformen, die in Kombination mit ungewöhnlichen sprachlichen Dimensionen innerhalb und jenseits des Schauspiels in ein Konglomerat intensiver Emotionen kulminieren.

Auch wenn der Titel der Edition augenscheinlich seine Wertung des Werkes von Wim Wenders populär voranstellt, ist auch dies nur eine vage Momentaufnahme im Lauf der Zeit zum Stand der Dinge, der letztlich die Rezeption und ihre Bedingungen den Film entscheidend mitprägen lässt – eine gleichermaßen schlichte wie komplexe Weisheit, die der Regisseur selbst in Interviews favorisiert. "Wie finde ich Sie?" fragt Rüdiger Vogler als Phillip Winter in Lisbon Story die schöne Teresa (Teresa Salgueiro), die ihm antwortet: "Lassen Sie die Tür offen!"

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/best-of-wim-wenders