Ein verrücktes Huhn (1978)

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Eine Filmkritik von Martin Beck

"Typisch französisch" ist eine mitunter diffuse Floskel, die irgendwas mit Sex, endlosen Dialogen und ausladenden "MAIS OUI!"-Gesten meint, aber selten so gezielt auf den Punkt kommt wie bei Ein verrücktes Huhn. Der Film ist einfach das "personifizierte" französische Lebensgefühl und als solches energiegeladen, hoffnungslos verplappert, voller großer Dramen, très charmant und stets locker, selbst im Angesicht eines seriellen Politiker-Mörders.

Der Erstaunliche an Ein verrücktes Huhn ist nämlich vor allem die Verquickung zweier verschiedener Genres, der romantischen Komödie und des Polizei-Thrillers – was mitunter zu abrupten Brüchen führt und dem Film einen zusammengeflickten Rumpelcharme verleiht. Die zwei Hauptfiguren, Lise (Annie Girardot) und Antoine (Philippe Noiret), beide schon etwas betagte Vorzeige-Franzosen, die vor Jahrzehnten mal eine kurze Affäre hatten und sich nun neu verlieben, turteln in einer Szene munter in ihrem Garten, dann geht's zum nächsten Mordopfer und dann zu einem regenüberströmten Chorkonzert, elegant gefolgt von einer Demo mit Tränengas-Kloppe.

Egal wohin der Weg auch führen mag, Ein verrücktes Huhn gibt stets Vollgas und erinnert in seinem atemlosen Zickzackkurs quer durch Emotionen und Stile an goldene Hongkong-Filme der 1980er Jahre. Die Überrumpelung des Zuschauers als Prinzip, als munter zuzwinkernde Entschuldigung für jede inhaltliche Kehrtwende, die auf Normalgeschwindigkeit wahrscheinlich entgeistertes Kopfschütteln ernten würde. Nicht so wohlwollende Zuschauer könnten durchaus zu dem Schluss kommen, dass sowohl die romantische Komödie als auch der Polizeithriller keine wirkliche Tiefe, geschweige denn eine sinnvolle Spannungskurve besitzen.

Aber dafür ist Ein verrücktes Huhn auch gar nicht angetreten, zumindest wenn man den Worten von Catherine Alric glauben darf, die im Film die blondeste aller Filmblondinen gibt und in der Bonusabteilung der Blu-ray auf reine Mainstream-Unterhaltung pocht – eine Disziplin, die Regisseur Philippe de Broca natürlich bestens kennt. Der Mann steht wie kaum ein zweiter für großes französisches Mainstreamkino, das Oberflächlichkeit mit vollen Kinos gleichsetzt und dazu eben einen überbordenden französischen Gestus kultiviert, der in anderen Ländern wie eine Mischung aus Fantasy und Horror ankommt.

Da gibt es eine von ihren Kollegen verehrte Polizeikommissarin, die schneller spricht als man blinzeln kann und sich mitten in einem Mordfall erstmal beim Frisur Locken reindrehen lässt. Selbiger Friseur begrüßt mit "Hallöchen", die bereits erwähnte Blondine ist eine strohdumme Nymphomanin mit Politiker-Schlagseite und alles, wirklich alles wird mit einer penetranten "Hoppla, jetzt komm ich"-Attitüde breitgeredet. Annie Girardot benimmt sich hier eigentlich wie Louis de Funès, mit ihrem ewigen "Nein! Doch! Ohh!"-Getue, wobei immerhin ein Rest Bodenhaftung zu erkennen ist und die Dame einfach wunderbar zu Philippe Noiret passt – der hier ebenfalls den Anschein macht, als wäre sein Berufsalltag eine einzige in Rotwein getunkte Plappersause.

Ein verrücktes Huhn ist der Inbegriff von savoir vivre anno 1978 und war in Frankreich demzufolge ein großer Box-Office-Erfolg, der mit Eine verrückte Hochzeit auch noch eine adäquat wahnsinnige Fortsetzung bekommen hat. Für unsereins entscheidet sich hier alles an der Frage, ob man wild durch die Gegend fuchtelnde Franzosen sympathisch oder nervig findet. Falls ersteres der Fall sein sollte, darf der Film wärmstens empfohlen werden – auch weil die Blu-ray von Filmjuwelen eine exzellente Bild- und Tonqualität aufweist. Außer dem bereits erwähnten Interview mit Catherine Alric, das interessante Einblicke gibt, aber generell einen Tick zu nett ausgefallen ist, findet sich in der Bonusabteilung nur noch ein (natürlich mit Akkordeon-Gedudel durchzogener) Trailer.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/ein-verruecktes-huhn-blu-ray