Fair Food - Genuss mit Verantwortung

Die dunkle Seite der Nahrungskette

Eine Filmkritik von Lida Bach

Immokalee entspricht kaum dem Bild, das man von einem ländlichen Ort im sonnigen Florida hat. Am wenigsten tut der Ballungsraum dies in den von ärmlichen Wohncontainern gesäumten Straßen, die Sanjay Rawal mit seinem Filmteam abläuft. Die Armut der Menschen, von denen oft über ein Dutzend in einem der engen Wellblechverschläge wohnen, ist charakteristisch für den Schauplatz von Fred W. Friendlys 1960 ausgestrahlter TV-Reportage Harvest of Shame. Viel besser ist das Leben kaum für die Bevölkerung, von der rund 3 Prozent Weiße sind. Die meisten Menschen hier sind Hispanics und sie sind Farmarbeiter. Ihre Jobs sind die mit den schlechtesten Konditionen und die am schlechtesten bezahlten. Diejenigen, die ernten, was bei Supermärkten, Fast-Food-Ketten und schließlich auf dem eigenen Teller landet, stehe an unterster Stelle der Nahrungskette.
"Food Chains", der doppelbödige Originaltitel von Rawals aufschlussreichem Dokumentarfilm bezeichnet zum einen die kommerzielle Verwertungskette von Lebensmitteln, zum anderen allgemein eine Restaurantkette. Darüber hinaus bezeichnet "food chain" auch die ökologische Nahrungskette, die zur inhumanen Blaupause für die Machenschaften der Lebensmittelindustrie wird. Für einen Erntehelfer beginnt der Tag in der Nacht. Die schläfrigen Kinder werden zur Babysitterin gebracht, dann geht es mit dem Bus raus zu den Feldern. Auf ihnen wachsen die Tomaten für Heinz-Ketchup, die Gurken für BigMacs und die Chilis von Taco Bell und warten darauf, gepflückt zu werden. Die Busladung Arbeiter wartet ebenfalls: darauf, dass ihre Tagesschicht anbricht. Die Zeit, die sie gezwungenermaßen ausharren müssen, wird nicht vergütet. Die bezahlte Arbeitsleistung beginnt mit dem ersten Eimer. Er wird von den Männern und Frauen randvoll zum Transportwagen gebracht, auf die Ladefläche geleert und erneut gefüllt. Je nachdem wie viele Eimer man schafft, wird man bezahlt. Einen festen Stundensatz gibt es nicht. Wer die brütende Hitze nicht aushält, schon älter oder schwächer ist, schuftet für einen Hungerlohn. Viel mehr erhalten auch die, die ein höheres Pensum erfüllen, nicht. Das Gehalt reicht gerade für Essen und Unterkunft; oft nicht einmal mehr dafür.

Einige Landarbeiter kampiert unter freiem Himmel, da die horrenden Mieten das karge Gehalt auffressen. Sie sind Obdachlose, die 15 Stunden am Tag arbeiten. Ein Krankenversicherung hat hier kaum jemand, nicht wenige sind ohne legalen Aufenthaltsstatus. Ihre prekäre Lage macht die Arbeiter zu leichten Opfern von Misshandlung, sexueller Belästigung und Ausbeutung bis hin zur Sklaverei. Letztere ist in den USA kein Relikt der Vergangenheit, sondern Alltag auf den Feldern, die in frühester Zeit von versklavten Ureinwohner und später von schwarzen Sklaven bestellt wurden. "Die Geschichte der Farmarbeit in den USA ist eine Geschichte der Ausbeutung", sagt Eric Schlosser. Der Journalist und Autor, der in seinen Sachbüchern Fast Food Nation und Reefer Madness unter anderem die ökonomischen und sozialen Mechanismen der Lebensmittelindustrie untersuchte. An der Spitze der Fair Food stehen einige wenige Supermarktriesen, die kleinere Konkurrenzfirmen sukzessive geschluckt haben. Die Farmer müssen sich die Dumpingpreise von den Supermärkten diktieren lassen oder werden ihre Ware nicht los. Berge unverkaufter Tomaten verfaulen regelmäßig in der Sonne. Eine Ernte für den Müll - nichts anderes sind die Lebensmittel, wenn sie nicht gebraucht werden, für Konzernketten wie Publix und Walmart.

Der weltweit größte Einzelhändler Walmart weigerte sich bis vor kurzem, das Fair Food Programm von Immokalees Arbeitervereinigung CIW zu unterzeichnen. Als sich der Vorstand im Dezember 2013 nach langen Protesten der CIW endlich durchrang, erschien es nach außen hin wie ein Akt der Wohltätigkeit. Gerade das aber ist es nicht. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen sind keine Frage der Generosität, sondern ein Grundrecht. Zumindest werden sie es einmal sein, hoffen die Tomatenpflücker in Sanjays aufrüttelnder Reportage: "Wir werden vielleicht den Ausgang dieses Kampfes nicht sehen, aber die Generation, die nach uns kommt."

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/fair-food-genuss-mit-verantwortung