Mystery Train

Memphis, Tennessee

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Da fährt ein Zug nach Memphis, Tennessee, mit einem jungen japanischen Touristenpärchen an Bord, das in Sachen Rock ’n’ Roll zu dessen Pilgerstätten unterwegs ist, sich auf der Reise einen Walkman und einen Koffer teilt und später im räudigen kleinen Hotel Arcade absteigen wird. Als Mitsuko (Yûki Kudô) und Jun (Masatoshi Nagase) ihr Abteil bei der Ankunft des Zuges verlassen, verweilt die Kamera noch für einen Augenblick dort, und diese atmosphärische Art von Robby Müller, von ihren Protagonisten verlassene Orte zu bannen, ist signifikant für diese erste Episode von Mystery Train mit dem Titel Far from Yokohama.
Ob nun "The King" Elvis Presley oder "Rockabilly" Carl Perkins der stärkere der beiden Musiklegenden war, ist ebenso ein Thema für Mitsuko und Jun wie die Frage, ob sie nun zuerst Graceland oder das berühmte Sun Studio besichtigen sollen, wobei Mitsuko deutlich die gesprächigere des Paares ist, während Jun meist nur knapp reagiert und ansonsten das Äußern von Emotionen seiner Freundin überlässt, die mit ihrem unbeholfenen Englisch auch die externen Kommunikationen übernimmt. So streifen die beiden durch die karg bevölkert wirkende Stadt, absolvieren ihre Sehenswürdigkeiten und lieben sich im Hotel, offensichtlich zufrieden mit den wenig spektakulären Ereignissen ihrer Reise, als am frühen Morgen ein Schuss fällt.

Dieser typische, deutlich hörbare Laut einer Pistolenkugel ist es, der in Kombination mit dem Hotel die drei episodischen Erzählungen von Mystery Train miteinander verbindet. Die zweite Geschichte A Ghost rekrutiert Regisseur Jim Jarmusch aus der Begegnung von Luisa (Nicoletta Braschi), die aus Italien herkam, um den Leichnam ihres Mannes nach Hause zu überführen, und Dee Dee (Elizabeth Bracco), die gerade ihrem Freund Johnny (Joe Strummer), genannt Elvis, den Laufpass gegeben hat und froh ist, ihre Gesprächigkeit und ihr Zimmer im Arcade mit der müden Italienerin zu teilen, die hier des Nachts von einer Erscheinung der besonderen Sorte heimgesucht wird, bevor am Morgen der Knall der Waffe ertönt.

Ein Pärchen für sich bilden der in dynamisches Rot gekleidete, weltmännisch auftretende Nachtportier (Screamin’ Jay Hawkins) und der übermüdete Bellboy (Cinqué Lee) des Arcade, die ihrer wenig ansprechenden Lokalität mit Elvis-Bildern an den Wänden das Flair vergangenen Glanzes verleihen und auch den Figuren der dritten Episode ein Zimmer vermieten. Dee Dees Verflossener Johnny, ihr Bruder Charlie "the Barber" (Steve Buscemi) und dessen Kumpel Will (Rick Aviles) haben mit Waffengewalt ein Spirituosengeschäft beraubt und flüchten sich nun vor der Polizei ins Hotel, wo nach einer trinkseligen Nacht schließlich der Schuss fällt ...

Mit humorig durchsetzter Tristesse betreten und verlassen die verlässlich schrägen, eigensinnigen Charaktere von Mystery Train das trostlos wirkende Szenario ihrer urbanen Kulisse, die an Originalschauplätzen inszeniert die Unverbindlichkeit von flüchtigen Begegnungen der banalen Beständigkeit eingespielter Beziehungen gegenüberstellt, während das Motiv des Zugs als signifikantes Symbol vorüberrauscht. Die Figuren des Films, die von einem ganz wunderbaren, typischen Jim Jarmusch Ensemble verkörpert werden, finden in der Berührung untereinander ihren markanten Ausdruck; ihr Sein und Wirken in der fiktiven Welt entsteht in direkter, unmittelbarer Konfrontation mit ihrem Gegenüber, und sei es auch "nur" der Geist Elvis Presleys in dieser Nacht.

Auf diese Weise geraten die Orte und ihre Stimmungen zur zentralen Thematik von Mystery Train, um die sich die Protagonisten als Momentaufnahme gruppieren, so dass sich ein ungewöhnlicher, hintergründiger Blick auf die Metropole Memphis ergibt, der erfreulich von den Stereotypen der gängigen Darstellungen abweicht, trotz der starken "Präsenz" des Kings of Rock ’n’ Roll. In der vielfältigen Umdeutung seiner Attribute sowie in den melancholischen bis satirischen Konstellationen der Personengestaltung liegt die ungezähmte Filmkunst des Regisseurs, der damit einen seiner feinsinnigen Mood-Movies inszeniert hat.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/mystery-train