Dancer in the Dark (Blu-ray)

Tanzschuh zum Schafott

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wenn Lars von Trier ein Musical dreht, ist eins gewiss: Fröhlich im Regen getanzt wird darin nicht. Für Dancer in the Dark gab's vor 14 Jahren die Goldene Palme in Cannes. Jetzt liegt der Film erstmals auf Blu-ray vor.
Im Universum eines Lars von Trier hat Frau es schwer. Nach Abschluss der Europa-Trilogie vollzieht sich Anfang der 1990er ein inhaltlicher wie formaler Bruch im Werk des Dänen. Die ausgefeilte technische Arbeit mit Kamera, Rückprojektion und Überblendung weicht dem Digitalstil des Dogma 95, der erzählerische Fokus verschiebt sich von schuldig gewordenen Männern hin zu christusgleichen Märtyrerinnen. Die leidende Frau wird zum Leitmotiv, zur Konstante, die sich bis in die Rolle der Joe (Charlotte Gainsbourg) aus Triers jüngstem Film Nymph()maniac fortsetzt.

Zum ersten Mal spielt Lars von Trier dieses Motiv in seiner Golden-Heart-Trilogie durch. In deren Mittelpunkt stehen Frauen, die allesamt der Fluch der guten Tat ereilt. Nach Breaking the Waves (1996) und Idioten (1998) bildet Dancer in the Dark im Jahr 2000 den Abschluss der Reihe. Dass es alles andere als gewöhnlich wird, wenn sich Lars von Trier darin einem Genre wie dem Musical nähert, macht der Däne von Beginn an unmissverständlich klar. In den ersten dreieinhalb Minuten ist auf der Leinwand nichts als das Wörtchen "Prolog" zu lesen. Björks "Overture" gibt dazu die Grundstimmung vor. Und die ist mehr als düster.

Der US-Bundesstaat Washington in den 1960ern: Die tschechische Einwanderin Selma Jezkova (Björk) liebt amerikanische Musicals. Tagsüber arbeitet sie in einer Fabrik, in ihrer Freizeit probt sie mit der Theatertruppe des Orts für die Aufführung von "The Sound of Music". In die USA ist Selma wegen ihres Sohns Gene (Vladica Kostic) gekommen. Selma leidet an einer Erbkrankheit, die sie schleichend ihres Augenlichts beraubt. Um Gene das gleiche Schicksal zu ersparen, ist eine Operation notwendig, die in Tschechien nicht möglich gewesen wäre. Für deren Finanzierung legt Selma in der Fabrik Zusatzschichten ein. Als sie das Geld beinahe beisammen hat, verliert sie ihren Job. Von ihrem Nachbarn Bill (David Morse) wird sie um ihr Erspartes betrogen. Die Konfrontation mit Bill endet für den Nachbarn tödlich und bringt die alleinerziehende Immigrantin schließlich in die Todeszelle. Alle Versuche, die Selma unternimmt, etwas Positives zu bewirken, bringen sie unweigerlich ihrem eigenen Untergang ein Stückchen näher.

Keines der Musicals, die Lars von Trier in seiner Kindheit gesehen hat, hätte etwas gewagt. So habe er beispielsweise bei einem Musical nie weinen müssen, sagt Trier in einem Interview auf der Blu-ray. Während es in Musicals stets um die kleinen Dinge im Leben gehe, handelten Opern von den wirklich großen, tragischen Ereignissen. Dancer in the Dark ist der Versuch des Dänen, beides zu verbinden. Und das Erstaunliche ist, dass ihm dies gelingt. Den weitaus größten Anteil daran hat Björk. Zum einen, weil sie der Hauptfigur, allen noch so schwer nachvollziehbaren Verhaltensweisen zum Trotz, die nötige Glaubwürdigkeit einhaucht. Zum anderen, weil Björks Musik trotz aller Tragik die Gesangs- und Tanzeinlagen nicht lächerlich erscheinen lässt.

Auch mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Erscheinen bleibt Dancer in the Dark ein Film, der sich beim Betrachten seltsam anfühlt. Kraftvoll durch seine schauspielerischen Leistungen, teils poetisch durch Robby Müllers intime Kamera, der Realität enthoben in seinen Musicalparts und dennoch unerbittlich in seiner erzählerischen Kompromisslosigkeit. Als Zuschauer ist man angesichts dessen hin- und hergerissen, ob man den Regisseur dafür verteufeln oder bewundern soll und am Ende doch stets berührt. Die Jury in Cannes entschied sich seinerzeit für letzteres und zeichnete sowohl Dancer in the Dark als auch dessen Hauptdarstellerin aus.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/dancer-in-the-dark-blu-ray