Wut im Bauch

Albtraum Retortenstadt

Eine Filmkritik von Stefan Dabrock

Der Mensch plant gerne, um die Kontrolle über sein Leben und seine Umgebung zu behalten. Wenn sich dann herausstellt, dass ihm die Kontrolle langsam entgleitet, versucht er die Symptome des Kontrollverlustes einzudämmen. Aus Planen wird verzweifeltes Reagieren.
Jonathan Kaplans Jugenddrama Wut im Bauch spielt in der frisch aus dem Boden gestampften Retortenstadt New Granada, die das Wohnen von Morgen laut den Werbeplakaten schon heute bietet. Die Jugendlichen des Ortes haben jedoch nicht das Gefühl, dass das etwas Positives ist. Sie hängen in und vor einer Wellblechhütte herum, die als Freizeitklub dient. Ein Billardtisch, ein Kicker, ein paar schäbige Möbel und Klettergerüste vor der Tür sind das magere Angebot zum Zeitvertreib. Während ihre Eltern mit sich selbst beschäftigt sind, suchen die Jugendlichen nach Abwechslung, die sie in harten Drogen, Alkohol und gefährlichen "Späßen" finden. Zwei von ihnen schießen mit einem Luftgewehr auf den Wagen des Sheriffs (Harry Northup), der daraufhin den rebellischen Richie (Matt Dillon) und Carl (Michael Eric Kramer) verhaftet, dessen Freund aus gutem Hause. Mit der Attacke haben die beiden jedoch nichts zu tun und so spitzt sich die Situation aufgrund weiterer Repressalien seitens der Polizei und der Eltern immer weiter zu, bis alles nach einer Tragödie vollkommen aus dem Ruder läuft.

Die jungen, unerfahrenen Darsteller des Films besitzen eine eindrucksvoll-beängstigende Präsenz, mit der sie die Hoffnungslosigkeit ihrer Figuren ohne Mätzchen auf den Punkt bringen. Matt Dillon verleiht dem rotzigen Richie ein Gefühlschaos zwischen Aufbegehren, Unsicherheit und dem Wunsch nach Anerkennung, die er jedoch nicht bekommt. Deswegen versucht er, sich als selbstbewusster Anführer zu inszenieren. Dieser Leistung stehen die übrigen Darsteller in nichts nach. Vor allem Michael Eric Kramer vermittelt den Wandel Carls vom ruhigen Jungen zum aufständischen Rebellen gegen die verständnislosen Erwachsenen mit nuancierter, aber wirkungsvoller Zurückhaltung.

Zu Beginn des Films ist das Kind in New Granada bereits in den Brunnen gefallen, weil die Jugendlichen schon sozial auffällig werden. Kaplan genügen Bilder der Umwelt, in der sie leben müssen, um die ganze Misere zu zeigen. Sterile Wohnstraßen ohne jegliche Infrastruktur grenzen an die trostlose Landschaft aus Steinen und Sand. Die Natur und der gebaute Albtraum wetteifern um den Titel, wer lebensfeindlicher wirkt. Für die Erwachsenen, die mit ihrer Arbeit, dem Haushalt und anderen Dingen beschäftigt sind, zählt nur die gewünschte Ruhe in den ausgestorbenen Retortenstadt, aber Jugendliche brauchen eigene Orte, an denen sie unter sich sind, und Abstand zu den Eltern gewinnen können. Die gibt es in dieser Siedlung nicht, in der die brennende Sonne jede Frische auf symbolische Weise effektiv ausdörrt.
Die besonders sichtbare Trostlosigkeit in New Granada darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ähnliche Probleme auch in etwas hübscher aussehenden Wohngegenden ohne Jugendbezug entstehen können. Kaplan setzt auf die Kraft der effektiven Bilder dieser emotionalen Wüste, in der sich schließlich brachiale Gefühle der Wut breitmachen. Präzise fängt er die Befindlichkeit der Jugendlichen ein, die sich als Fremdkörper in einer gescheiterten Planung ihrer Eltern fühlen müssen. Und die reagieren so kurzsichtig, wie dass für Menschen nicht ungewöhnlich ist. Sie sehen die rebellische Gewalt, die sie mit eigener Gewalt eindämmen wollen. Der eingeleitete Kontrollverlust verstärkt sich dadurch auf fatale Weise, bis das Drama in einer irrsinnigen, apokalyptisch anmutenden Sequenz den entfachten Furor auf den Punkt bringt.

Die DVD kann sich sehen lassen. Die Schärfe des Films geht absolut in Ordnung, zumal die raue Optik der Thematik sehr gut tut. Die gedeckten Farben des Films aus Gelb-, Braun- und Ockertönen kommen gut zur Geltung. Der Kontrast ist ausgewogen und das analoge Rauschen stört nicht. Der englische DD 2.0 Mono-Ton verfügt über verständliche Dialoge, bei denen auch das leichte Hintergrundrauschen nicht stört. Demgegenüber klingt sein deutsches Pendant ein wenig so, als habe die Synchronisation in einem Raum mit Hall stattgefunden. Das tut der Verständlichkeit in Verbindung mit dem deutlicher hörbaren Hintergrundrauschen nicht immer gut.

Im deutsch untertitelten Audiokommentar gehen Jonathan Kaplan (Regie), Charlie Haas, Tim Hunter (beide Drehbuch) und George Litto (Produktion) auf zahlreiche Aspekte des Films ein. Das Casting der jungen Schauspieler, die jenseits der wichtigsten, jugendlichen Hauptfiguren teilweise aus Brennpunktschulen stammen, biografische Informationen über einige Darsteller und Anekdoten vom Dreh spielen dabei eine große Rolle. Ein guter, informativer Kommentar.
Der Filmtrailer ist auf der DVD ebenfalls enthalten.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/wut-im-bauch