Ghost World (2001)

Es fährt ein Bus nach Nirgendwo

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ist das nicht...? Ja, richtig, Scarlett Johansson. Nach anfänglicher Irritation über das kreuzbrave Aussehen der damals noch blutjungen Schauspielerin kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Und das betrifft sowohl die erstaunliche Wandlung Johanssons vom Nerd-Girlie in diesem Film aus dem Jahre 2001 zum männermordenden Vamp und zur "sexiest woman alive" (okay, hier driften die Meinungen erheblich auseinander) wie auch die schlichte Tatsache, dass Terry Zwigoffs Werk hierzulande bislang eher ein Schattendasein führte. Zwar lief der Film wohl mal kurz in den deutschen Kinos, wie eine kurze Recherche verrät, doch einen allzu großen Eindruck scheint er damals nicht hinterlassen zu haben – in der Filmographie Scarlett Johanssons schmiegt sich der Titel so verschämt an den Anfang, als trüge der das Stigma "Jugendsünde" breit auf der Stirn wie einen besonders fiesen Pubertätspickel. Dabei besteht für so viel Zurückhaltung keinerlei Grund – im Gegenteil: Die heiter-lakonische Coming-of-age-Dramödie trifft den Zeitgeist und das Lebensgefühl der Jugendlichen in jener Zeit ähnlich prägnant auf den Kopf wie rund zehn Jahre zuvor Richard Linklater in Slackers. Umso schöner, dass der Film nun von Ascot Elite eine Blu-ray-Erstveröffentlichung spendiert bekommt, die förmlich dazu einlädt, diesen Film dem Vergessen zu entreißen.

Gerade haben die beiden Freundinnen Enid (Thora Birch) und Rebecca (Scarlett Johansson) die verhasste High School mehr oder weniger (in diesem Falle eher weniger) erfolgreich hinter sich gebracht, da taucht jene Frage am eh nicht sehr rosigen Horizont auf, was denn die nächsten Schritte sind auf dem Weg ins Erwachsenenleben: College oder Job? Zuhause wohnen oder ausziehen? Es ist ungewiss, was das Leben für die beiden Mädchen bereithält und vielleicht ist es gerade diese Verunsicherung, die sie dazu bringt, sich einen armen Trottel zu suchen, an dem sie ihre Verletzlichkeit und ihren Ekel vor der Welt der Großen abreagieren können. Als sie beim Herumhängen auf eine Anzeige des ein wenig freakigen Seymour (Steve Buscemi) antworten, wollen sie den armen Tropf mit der Sammelleidenschaft für alte Blues-Platten nur ein wenig ins Bockshorn jagen. Doch dann freundet sich Enid mit dem Mann an – und damit gerät ihre Welt noch (und vor allem offensichtlicher) mehr aus den Fugen, als sie das eh schon ist...

Ghost World mit American Beauty zu vergleichen liegt nahe: Das liegt nicht nur daran, dass die beiden Filme im Abstand von zwei Jahren entstanden und an der schlichten Tatsache, dass Thora Birch in beiden eine mitten in der Adoleszenz steckende Tochter spielte, sondern auch an dem Blick, den beide auf die Abgründe der Suburbia-Mittelschicht werfen. Mit dem kleinen Unterschied, dass American Beauty sich vor allem für die Midlife Crisis Lester Burnhams interessiert, während Ghost World die Sichtweise und Perspektive des Mädchens einnimmt. Mit dem Effekt, dass die beiden Filme, wie durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden, sich gegenseitig kommentieren und ergänzen. Wobei Ghost World weit entfernt davon ist, nur ein Abklatsch von American Beauty mit einer deutlichen Verschiebung des Akzents zu sein. Mit viel Lust an der Überzeichnung (immerhin lag dem Film ein Comic von Daniel Clowes zugrunde, was man zwischen und hinter den Bildern durchaus noch durchschimmern ahnt), herrlich schrägen, aber niemals spöttisch betrachteten Figuren, grimmigem Humor und leiser Zärtlichkeit erweist sich Ghost World vielmehr als eine Art Blaupause für all die Coming-of-age-Filme der kommenden Jahre, die sich mit viel Herz auf die Seite der jungen und nicht mehr ganz so jungen Außenseiter schlugen, von denen sie erzählten.

Die titelgebende Geisterwelt einer gesichts- und namenlosen Stadt ähnelt ein wenig der Sicht von Tim Burton und David Lynch auf die Hölle der gleichgeschalteten, normierten und allen Drop-outs feindlich gesinnten Großstadt. Wobei Zwigoff die Skurrilität und Morbidität seiner beiden Vorbilder nicht bis ins Extrem nachbuchstabiert, sondern feiner dosiert und miteinander mischt. Auf diese Weise entsteht eine ganz eigenartige Mischung aus einem Sozialrealismus Crumbscher Prägung (sieben Jahre vor Ghost World hatte sich Zwigoff in seinem Debüt ausgiebig mit dem Erfinder von Fritz the Cat beschäftigt) und einer fast schon romantischen Erzählung. Am Ende hält ein Geisterbus in der Geisterstadt und nimmt Enid mit hinaus auf ihren Weg in die Welt – eine Geste so fein, sanft und versponnen, wie der ganze Film es ist...

Eine echte Wiederentdeckung – und das liegt nicht einmal an Scarlett Johansson, die im Laufe des Films immer mehr in den Hintergrund rückt, sondern vor allem an Thora Birch. Und irgendwie fragt man sich insgeheim, warum es diese außerordentlich begabte Schauspielerin niemals so richtig geschafft hat, während ihr Sidekick munter immer weiter die Karriereleiter erklomm. Gut möglich, dass das Leben in diesem Falle ein wenig ungerecht war...
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/ghost-world-blu-ray