Kleist Trilogie – Filme von Hans Neuenfels

Zerrissene Seelen

Eine Filmkritik von Falk Straub

Er habe gespürt, dass in Heinrich von Kleists Penthesilea eine Wucht stecke, die eines anderen Mediums bedürfe. Also wechselte Regisseur Hans Neuenfels Anfang der 1980er von der Bühne hinter die Kamera. Aus seiner Auseinandersetzung mit Kleist wurde schließlich eine Trilogie, die jetzt erstmals auf DVD vorliegt.
Kleist lässt Hans Neuenfels auch ein Vierteljahrhundert nach Abschluss seiner Trilogie nicht los. In jeder Sekunde des dreiteiligen Interviews, das Sohn und Kameramann Benedict Neuenfels mit seinem Vater für das Bonusmaterial der DVDs geführt hat, ist dies zu spüren. Dort spricht der 1941 in Krefeld geborene Regisseur immer noch mit Verve vom Dichter mit der Frauenseele – ungebremst und klug. Bewundernd äußert er sich über Kleists Debüt, Die Familie Schroffenstein, lobt dessen Präzision in der psychologischen und sozialen Beobachtung der Figuren und schilt die Literaturkritik, die Kleists homoerotisches Verlangen nach seinem Freund Ernst von Pfuel sträflich vernachlässige.

In Neuenfels' Filmen nimmt die Homoerotik größeren Raum ein, genauso wie die Identifikation von Kleists zerrissenen Figuren mit dem Schriftsteller selbst. Am Ende von Heinrich Penthesilea von Kleist ist der Dichter mit seiner Protagonistin eins. In seiner Beschäftigung mit Kleist hat Neuenfels viel Kluges über den wohl bekanntesten und spektakulärsten Selbstmörder unter den deutschen Dichtern geschrieben. Einige Gedanken und Essays sind in den Booklets der Trilogie enthalten.

Den Anfang seiner filmischen Analyse machte Neuenfels 1983 mit Heinrich Penthesilea von Kleist. Schon hier war im wichtig, bereits im Titel kenntlich zu machen, dass es sich nicht um eine reine Adaption, sondern um eine Bearbeitung, ein Abarbeiten am kleistschen Stoff handelt. 1984 folgte Die Familie oder Schroffenstein, 1988 Europa und der zweite Apfel, in dem sich Neuenfels Kleists Essay Über das Marionettentheater vornahm.

Für Neuenfels steht dabei besonders das Reißen und Reiben der Geschlechter, die (innere) Zerrissenheit der Figuren und deren Kippen von der Normalität in den Wahnsinn im Vordergrund. Dank eines hervorragenden Schauspielerensembles, allen voran Elisabeth Trissenaar, Hermann Treusch, Ulrich Wildgruber, Hans-Michael Rehberg und Ingo Hülsmann, gelingt das Experiment.

Ist Heinrich Penthesilea von Kleist noch als selbstreferenzielle Schnitzeljagd nach der richtigen Umsetzung des Stoffs angelegt, die eine Bestandsaufnahme der (west-)deutschen Theaterlandschaft Anfang der 1980er stets mitdenkt, so ist Die Familie oder Schroffenstein ganz bei sich selbst, verkörpert jeglichen Bezügen enthobenen filmischen Raum. Mit teils extremen Großaufnahmen, einer in jeder Einstellung durchdachten Bildgestaltung und vor allem Heiner Goebbels experimenteller Verwendung der Tonspur transportiert Neuenfels Kleists Wucht auf die Leinwand, schreckt vor der letzten Konsequenz jedoch zurück. Um Kleists Text nicht zu beschädigen, setzt Neuenfels jede Mauerschau aus dem Original auch im Film als Mauerschau in Szene, anstatt das nur mündlich Berichtete zu visualisieren. In diesen Momenten wirken die Bearbeitungen trotz aller Stärken zu theatral.

Europa und der zweite Apfel entzieht sich dieser Problematik, da Neuenfels sich hier an Prosa abarbeitet. Kleists Frage nach der menschlichen Identität, nach Verlust und Wiedererlangen der Unschuld ergeben einen erfrischenden Dialog im Zusammenspiel mit den Fragen, die Neuenfels im Film an Kleists Text stellt. Ob ein Leib dabei stets einer Seele bedarf, beantwortet Neuenfels so simpel wie spielerisch. Wer Klaus Maria Brandauer als zum Leben erwachte menschliche Marionette gesehen hat, wird über diese Frage nie wieder diskutieren.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/kleist-trilogie-filme-von-hans-neuenfels