Panik im Tokio-Express

Tempo-Zug

Eine Filmkritik von Stefan Dabrock

Wenn die Geschwindigkeit des Zuges unter 80km/h fällt, dann explodiert die Bombe. Das Konzept kommt einem bekannt vor, nur war es in Jan de Bonts brillantem Actionfilm Speed ein Linienbus, dessen Geschwindigkeit nicht gedrosselt werden durfte, ohne einen Sprengsatz auszulösen. Knapp 20 Jahre zuvor hatten ein paar kreative Japaner diesen erzählerischen Kniff bereits für das stargespickte Terrorepos Panik im Tokio-Express ausgeheckt, indem sie ein paar Dynamitstangen nebst der perfiden Zündvorrichtung in einem Zug platzierten. Im Gegensatz zum perfekten Adrenalinrausch von Speed ging es Regisseur Jun'ya Satô und seinen Mitstreitern aber um eine Mischung aus Thriller und Sozialdramanklängen.
Bei der japanischen Eisenbahngesellschaft, die den Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen zwischen Tokio und Hakata betreibt, ist der Teufel los, als ein unbekannter Erpresser (Ken Takakura) anruft. In einem in voller Fahrt befindlichen Zug geht automatisch eine Bombe hoch, sobald die Geschwindigkeit unter 80 km/h fällt. Erst nach Zahlung von fünf Millionen Dollar will er verraten, wie die gefährliche Fracht entschärft werden kann. Die Verantwortlichen der Eisenbahngesellschaft drosseln die Geschwindigkeit des Zugs auf 120 km/h, um die Zeit so weit wie möglich hinauszuzögern, bis die Endhaltestelle erreicht wird. Aber trotzdem bleiben ihnen nur ein paar Stunden, bis die Katastrophe eintreten würde. Während die Polizei die Ermittlungen aufnimmt, versucht Leitstellenchef Kuramochi (Ken Utsui) zusammen mit Zugführer Aoki (Sonny Chiba) die Situation so besonnen wie möglich zu meistern. Doch es dauert nicht lange, bis die ersten Passagiere merken, dass etwas nicht stimmt und in Panik verfallen.

Als Panik im Tokio-Express 1976 ins Kino kam, hatte der Verleiher den mit zweieinhalb Stunden episch angelegten Film auf ein etwa 90-minütiges Maß zurechtgestutzt. Diese Fassung wurde danach auch auf Video veröffentlicht und so ist es ein Genuss, das Werk endlich in seiner vollen Länge bewundern zu können. Denn der Schere fielen unter anderem zahlreiche Hintergrundinformationen zu den Bombenlegern zum Opfer, die entscheidend sind, um deren Tat einordnen zu können. Anführer Tetsuo Okita (Ken Takakura) besaß eine Firma, die Pleite gegangen ist. Darüber hinaus kämpft er mit familiären Schwierigkeiten. Seine Mitstreiter hat er zum Teil von der Straße geholt. Aus Mangel an sonstigen verlässlichen sozialen Strukturen haben die Bombenleger eine verschworene Gemeinschaft gebildet, mit der sie einen Erfolg landen wollen. Sie sind keine rachegeleiteten Berufsverbrecher, sondern verzweifelte Menschen auf der Suche nach einem Weg aus ihrer persönlichen Krise. Es soll das perfekte Verbrechen ohne Tote und Verletzte werden, da Okita die Informationen zur Bombenentschärfung wirklich herausrücken will, sobald er das Geld hat.

Geschickt montiert Satô solche in Rückblenden erzählte Sozialdramanklänge über den Verlust der wirtschaftlichen Kraft und schließlich der eigenen Würde mit den aktuellen Ereignissen in und um den fahrenden Zug. Bilder vor Anspannung und Angst schwitzender Bahnbediensteter wechseln sich mit Aufnahmen des rasenden Zuges, panischen Passagieren, gescheiterten Geldübergaben und angestrengt arbeitenden Polizisten auf der Suche nach den Tätern ab. Während der fahrende Shinkansen aufgrund des weitgehend hindernisfreien, geraden Schienenstrangs alleine nur wenig Dramatik ausstrahlt, gelingt es Satô mit dem Showdown der Montage die notwendige Dynamik in den Film zu pumpen. So entfaltet sich eine beklemmende Ausnahmesituation zwischen Leben und Tod, deren detailreiche Schilderung über den reinen Thrill hinausgeht. Aus den verzweigten Geschichten entwickelt Satô ein Gesellschaftspanorama zwischen technologischer Stärke, persönlicher Verantwortung, wirtschaftlicher Potenz und Bruchlandung, sozialem Abstieg und Gewissenskonflikten. So gewinnt der Film mit seiner langen Laufzeit zunehmend an Substanz, ohne an Spannung zu verlieren.

In der schönen 3-Disc Veröffentlichung aus dem Hause Subkultur ist der Film in der japanischen Lang- und der deutschen Kinofassung sowohl auf Bluray als auch auf DVD enthalten. Die Bildqualität kann in beiden Fällen überzeugen, auch wenn die Bluray eine Spur detailreicher aussieht. Kontrast, Schärfe und Farbintensität liegen auf einem guten Niveau. Beim Ton hat die Bluray die Nase auch etwas vorn, weil der 2.0-Mono-Ton breiter und damit voller klingt als die DVD-Monofassung. Sowohl beim japanischen als auch beim deutschen Ton ist Hintergrundrauschen vorhanden, ohne zu stören. Nennenswerte Verzerrungen gibt es nicht. Die Dialoge sind gut verständlich.

Das Bonusmaterial besteht aus der rund 30-minütigen, deutschen Super 8-Fassung des Films, die aus zwei Teilen besteht, Trailern zum Film und Bildergalerien. Leider hat man sich beim Label dafür entschieden, das Material auf die einzelnen Scheiben aufzuteilen, obwohl sicher alles auf jede der drei Discs gepasst hätte. So muss man beispielsweise selbst dann, wenn man eigentlich nur die Bluray sehen möchte, die DVD mit der deutschen Kinofassung einlegen, um die Super 8-Version anschauen zu können. Hier wäre es sicher besser gewesen, jede der Scheiben mit dem kompletten Bonusmaterial auszustatten. Im 8-seitigen Booklet ist ein Text von Stuart Galbraith enthalten, der ein paar Hintergrundinformationen zum Shinkansen und zu den Darstellern des Films liefert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/panik-im-tokio-express