Carrie (1976)

Aufgerissene Augen, umrahmt von Schweineblut

Eine Filmkritik von Martin Beck

Schon klar, das musste ja kommen. Im Sog des Kinostarts des Carrie-Remakes kommt nun das Original bei uns auf Blu-Ray heraus, nachdem es MGM vor einigen Jahren bereits mit einer bescheidenen US-Disc probiert hatte – die nun tatsächlich auch als Vorlage für die neue Veröffentlichung herhalten muss. Angesichts der überschaubaren Qualität des Remakes wäre es wahrscheinlich sinnvoller gewesen, jenes gleich fürs Heimkino anzusetzen und dem De-Palma-Film einen neuen, nach allen Regeln der Kunst aufgehübschten Kinostart zu spendieren.

Denn Carrie gehört ins Kino, alleine schon wegen des reisserischen Plakats, auf dem Sissy Spacek so wahnsinnig stiert, dass man bereits an der Kinokasse die Hosen voll hat. Das übermäßig behütete, völlig verklemmte Mauerblümchen wird im Moment des größten Glücks mit einem Eimer Schweineblut übergossen und damit so gedehmütigt, dass sich all die repressive Energie, all die hineingefressenen Emotionen mit einem Schlag entladen. Carries Prom-Nacht gerät zu einem wahnsinnigen Inferno, zu einer furiosen Katharsis, der niemand entkommen kann.

Natürlich ist es so, dass Carrie anno 2013 nur noch begrenzt schocken kann, doch damals, 1976, war dieser Film der pure Horror. Eine Mutprobe. Eine unglaublich intensive und kinetische Erfahrung, die einen spätestens bei der finalen Konfrontation zwischen Sissy Spacek und Piper Laurie hinter ausgestreckten Fingern abtauchen ließ. Auf der einen Seite das verschreckte, unendlich leidende Schulmädchen, und auf der anderen Seite die dämonische, zutiefst religiöse und dominante Mutter. Sissy Spacek und Piper Laurie, beide wie im Rausch, zugleich hysterisch und einfühlsam.

Carrie war die erste Verfilmung eines Stephen-King-Buches und ein großer Box-Office-Erfolg. Brian De Palma zementierte damit seinen Ruf als deftiger Stilist, der auch gerne mal über das Ziel hinaus schießt (=die "split screen"-Montage beim Prom-Inferno), aber am Ende, als einer der am meisten kopierten Schockmomente der Horrorgeschichte die Zuschauer nochmal an die Decke befördert, trotzdem den Klassiker-Sack zumachen kann. Carrie lebt von seiner unheilvollen, bedrohlichen Stimmung, von weichgezeichneten Kamerafahrten und dem geradezu spürbaren Druck, den die fratzenhafte Gesellschaft, inklusive Ringelsocken und religiöser Paranoia, auf die traurige Hauptfigur ausübt.

Brian De Palma inszeniert das alles mit wuchtiger Kraft, sein Stil passt genau zu der Romanvorlage. Anders als im Buch bleibt Carries telekinetische Vergeltung zwar auf den Prom-Saal beschränkt, doch das mindert die Wirkung des Films in keiner Weise. Ganz im Gegenteil, trotz "split screen"-Gefummel gerät das ikonische Bild der blutüberströmten Prom-Queen nie aus dem Fokus, sondern wird stets als Zentrum der ganzen Zerstörung wahrgenommen. Die Carrie, die doch eigentlich ein leichtes Opfer ist, rastet auf einmal völlig aus und bricht ihr ganz eigenes Columbine-Massaker vom Zaun. Alleine diese Vorstellung, dass einfach alles ausser Kontrolle gerät, dass gesellschaftliche Grenzen unkontrollierbare Wut erzeugen, sorgt auch knapp 40 Jahre nach dem Kinostart noch für eisige Eindringlichkeit.

Carrie ist ein Klassiker, der alleine durch seine Intensität überzeugt und damit allen derivativen Einflüssen und siebziger-Jahre-Relikten zum Trotz nach wie vor beeindrucken kann. Brian De Palma, Sissy Spacek, Piper Laurie und Stephen King: eine Traumkombination – aber leider keine Traum-Blu-Ray, sondern ein rumpeliges bis grieseliges Bild und kaum Extras, die auch als solche bezeichnet werden könnten. Das einzige klare Plus gebührt dem deutlich druckvolleren Ton, der Pino Donaggios dampfenden Score nun so richtig auf die Pauke hauen lässt, doch ansonsten darf man sich darauf einstellen, dass die meiste Überzeugungsarbeit der Film selbst leisten muss.

Was ein Glück, dass das überhaupt kein Problem ist.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/carrie-1976-blu-ray