Der Rattengott

Politische Metapher

Eine Filmkritik von Peter Osteried

"Die Ratte, dieses schlaue und finstere Wesen kann über die menschliche Vernunft herrschen. Es herrscht über die Geheimnisse der Unterwelt, wo es sich verbirgt. Ratten können sich sogar in Menschen verwandeln, ihnen wachsen Arme und Beine." – So heißt es in einem Buch, das der erfolglose Schriftsteller Ivan Gajski liest.
Die Zeit der Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren: Gajski ist ein armer, hungernder Schriftsteller, der obdachlos ist und darum im verlassenen Haus der Zentralbank die Nacht verbringen wird. Dort wird er Zeuge eines rauschenden Festes. Doch es ist nicht die feine Gesellschaft, die hier feiert, es sind menschgewordene Ratten, deren Erlöser gekommen ist und die Herrschaft über die Welt anstrebt. Gajski, seine Freundin Sonja und deren Vater, Professor Boskovic, wollen die Ratten stoppen.

Der jugoslawische Film aus dem Jahr 1976 ist recht obskur, aber eine reizvolle Körperfresser-Version, bei der der Invasor nicht aus dem All, sondern aus der Kanalisation kommt. Oberflächlich ein Kampf gegen Monster in Menschengestalt, hat Der Rattengott subversive Elemente, die der kommunistischen Zensur seinerzeit nicht aufgefallen sind. Der Aufstand gegen die Ratten ist auch ein Aufstand gegen die Gleichschaltung, gegen den Verlust der Individualität, gegen ein System, das allumfassend kontrolliert. Die Ratten sind überall – so wie Spitzel im System Tito.

Krsto Papics Film ist eine Kritik am Totalitarismus, das Setting inmitten der Weltwirtschaftskrise ist kein Zufall. Hunger, Arbeitslosigkeit, Verfall, Armut, all das leistet einem verführerischen und doch zugleich destruktiven Kollektiv Vorschub. Mit seiner Konzentration auf die Erlöserfigur, die in größter Not erscheint und die Ratten ans Licht führt, funktioniert der Film nicht nur in Hinblick auf das kommunistische System, sondern ist zugleich ein Kommentar auf den Führerkult des Dritten Reichs. Ob rechts- oder linksgerichtet, im Totalitarismus geht alle Menschlichkeit verloren.

Der Rattengott lebt von einem immensen Gefühl der Paranoia. In der Beziehung ist Papics Film ein folgerichtiger Nachfolger von Don Siegels Die Dämonischen, nur dass er aufgrund des Settings weit dystopischer daherkommt. Dicht erzählt, läuft der Film auf einen Schlussmoment zu, der äußerst rätselhaft, aber auch sehr kraftvoll ist, stellt sich doch die Frage, ob die Bedrohung wirklich überwunden ist.

Die Veröffentlichung im Mediabook sieht ausgesprochen schön aus. Ein lesenswerter Essay von Dr. Marcus Stiglegger über die Transformation im Horrorfilm als politische Aussage ist im Booklet enthalten, ansonsten gibt es noch den französischen Trailer, die eine Minute längere kroatische Fassung und eine Bildergalerie mit Cover-Artworks, die dem Film alles andere als gerecht werden und ihn im Sumpf der Exploitation verorten wollen.

84 Entertainment hat mit Der Rattengott eine seltene Perle des osteuropäischen Kinos ausgegraben, dessen Geschichte ein wenig banal anmuten mag, der aber im Kontext seiner Zeit und seines Entstehungslandes betrachtet werden muss.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/der-rattengott