Anna von Brooklyn

Die Königin der Abruzzen

Eine Filmkritik von Stefan Dabrock

Wer sich mit italienischer Filmgeschichte beschäftigt, kommt an Gina Lollobrigida nicht vorbei. Und auch wenn die Komödie Anna von Brooklyn nicht so bekannt ist, wie Lollobrigidas vergnügliche Werke Liebe, Brot und Fantasie / Pane, amore e fantasia (Italien 1953) sowie Liebe, Brot und Eifersucht / Pane, amore e gelosia (Italien 1954), bei denen jeweils Luigi Comencini Regie führte, tut das dem Spaß am heiteren Dorfschwank keinen Abbruch.
Die attraktive Italienerin Anna (Gina Lollobrigida) kehrt nach Jahren der Abwesenheit aus New York in ihr kleines Heimatdorf Canorano zurück, das ganz verschlafen in den Abruzzen liegt. Allein mit ihrer Ankunft sorgt sie dafür, dass ganz Canorano auf den Beinen ist, um sie zu empfangen. Als auch noch durchsickert, dass die verwitwete Anna einen Mann sucht, wittern die Herren der Schöpfung Morgenluft. Vom Bürgermeister bis zum Kinobesitzer Ciccone (Amedeo Nazzari), der Annas unschuldige Jugendliebe war, versuchen sie, bei der Heimkehrerin zu landen. Die interessiert sich jedoch für den Handwerker Raffaele (Dale Robertson). Der sucht bei Frauen aber nur noch das Vergnügen, nachdem seine aufrichtige Liebe vor ein paar Jahren enttäuscht wurde. Während sich der ganze Liebestaumel immer weiter zuspitzt, hat Dorfpfarrer Don Luigi (Vittorio De Sica) alle Hände voll zu tun, seine Moralvorstellungen durchzusetzen.

Mit rasant vorgetragenen Wortgefechten werfen sich die Figuren in Anna von Brooklyn die Bälle zu, um das volkstümliche Leben in einer kleinen Dorfgemeinde Ende der 1950er Jahre humorvoll zu karikieren. Temperamentvoll handeln sie ihre Positionen aus, damit jeder zufrieden ist. Als dem Dorfpfarrer Don Luigi das Plakat für den nächsten Film zu freizügig erscheint, da lässt Kinobesitzer Ciccone einfach den Wochentag über die Bikini-Brust der Hauptdarstellerin kleben. Das stellt den Geistlichen zumindest halbwegs zufrieden. Es lebe der Pragmatismus angesichts des moralischen Wandels. Vittorio De Sica holt aus der Rolle des katholischen Pfarrers alles raus, was in ihr steckt. Mit entschlossener Mine versucht er in persönlichen Gesprächen, gerne auch mal unter vier Augen, erzieherischen Einfluss auf seine Schäfchen zu nehmen. Die entwinden sich ihm mit listiger Bauernschläue aber immer wieder, um ihren Freiraum zu bekommen. So schleicht Don Luigis Neffe Ciccillo (Terence Hill) in den Garten seiner angebeteten Rosina (Carla Macelloni), weil die beiden jungen Leute Angst haben, ihre Liebe öffentlich zu machen.

Das luftig inszenierte Duell zwischen dem moralischen Pfarrer und den etwas weniger strengen Dorfbewohnern entwickelt seinen Höhepunkt natürlich durch den Auftritt Annas. Da die Witwe den Männern des Dorfes den Kopf verdreht, möchte Luigi, dass sie möglichst schnell wieder heiratet. Ironischerweise sorgt gerade sein vertrauliches Gespräch mit ihr für die Turbulenzen, weil der Inhalt auf völlig unklaren Wegen durchsickert. Erst jetzt greifen die ehrenwerten Männer des Ortes zu absurden oder niedlichen Werbungsversuchen. Regisseur Carlo Lastricati nutzt so die dörfliche Klatschkultur für humorvolle Spitzen, indem sie einerseits ihre kaum steuerbare Eigendynamik gewinnt, und die Urheber des Tratsches andererseits verborgen bleiben. Irgendwie sind die Informationen auf absurde Weise ganz plötzlich in der Welt. Aus der Gemengelage der unterschiedlichen Moral- beziehungsweise Lebensglücksinteressen, Klatsch, Liebestaumel und amüsanten Dialogen entwirft Lastricati einen spaßigen Schwank, in dem Gina Lollobrigida ihr schwungvolles Temperament sorgfältig ausspielt. Natürlich siegt am Ende auf zeitgemäße Art die katholische Moralvorstellung, aber die stand ohnehin nie wirklich zur Disposition.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/anna-von-brooklyn