Something Necessary

Leben nach der Gewalt

Eine Filmkritik von Stefan Dabrock

Seit 2008 unterstützt Tom Tykwer mit der Produktionsfirma One Fine Day Films GbR afrikanische Talente bei der Entwicklung eigener Filmprojekte. Zu den in Kenia stattfindenden Workshops kommen Teilnehmer aus unterschiedlichen Ländern, um ihre Fähigkeiten in den Bereichen Regie, Produktion, Kamera, Szenenbild, Schnitt, Tongestaltung und Drehbuch zu verbessern. Bislang wurden die Filme Soul Boy (Regie: Hawa Essuman und Tom Tykwer, Kenia/BRD 2010), Nairobi Half Life (Regie: Tosh Gitonga, Kenia/BRD 2012) und Something Necessary produziert.
Letzterer spielt nach den politischen Unruhen, die Ende 2007 bis Anfang 2008 in Kenia ausbrachen. Hintergrund war das Ergebnis der Präsidentschaftswahl. Drei Tage nach dem Urnengang wurde der amtierende Präsident Mwai Kibaki, ein Angehöriger der Volksgruppe der Kikuyu, zum Sieger erklärt. Da schnell Gerüchte über mögliche Wahlfälschungen die Runde machten, begannen Anhänger des Herausforderers Raila Odinga Kikuyu-stämmige Kenianer zu attackieren. Bei den zweimonatigen Auseinandersetzungen starben zahlreiche Menschen.

Bei einem Überfall auf Annes (Susan Wanjiru) Farm ist ihr Mann Steve getötet worden, während sie schwer gezeichnet überlebt hat. Der gemeinsame Sohn Kitur (Benjamin Nyagaka) liegt seitdem im Koma. Trotz der traumatisierenden Erfahrung will sich Anne nicht unterkriegen lassen und ihre Farm wieder aufbauen. Aber ihre Schwester Gathoni (Anne Kimani) und der Bauunternehmer Lesit (David Kiprotich Mutai) unterstützen sie dabei nur halbherzig. Während Anne das selbst gesteckte Ziel mit Willensstärke verfolgt, versucht Joseph (Walter Lagat) ihr im Verborgenen zu helfen. Denn der junge Mann, der sich von seiner Bande lossagen möchte, war bei dem Überfall auf die Farm dabei. Jetzt fühlt er sich schuldig.

Nachdem der Sturm der Gewalt wieder abgeflaut ist, bleiben neben den Fanatikern unzählige Menschen zurück, die von der Wucht der Ereignisse mitgerissen wurden. Das gilt für Täter und Opfer gleichermaßen. Sie müssen versuchen, mit den Folgen der Vorfälle umzugehen. Regisseurin Judy Kibinge erzählt von der tragischen Ruhe nach dem Sturm, in der Schuld, Traumatisierung, Verzweiflung, und der Wille, das eigene Leben zurückzuerobern, kraftvoll ihren Raum einnehmen.

Gegen alle Widerstände aus ihrem eigenen Umfeld verfolgt Anne das Ziel, die zerstörte Farm wieder aufzubauen, weil sie sonst den Tätern den Triumph eines Erfolgs gönnen würde. Aber Anne will sich nicht in eine hilflose Opferhaltung drängen lassen oder ihre Heimat aufgeben. Die Versuche, sie von ihrem Weg abzubringen, machen sie nur noch störrischer. Kibinge porträtiert Annes innere Stärke, die zunächst nur dank erfolgreicher Verdrängung der konkreten Taten vorhanden ist, mit unaufgeregten Bildern. So unbeirrbar Anne einzelne Schritte unternimmt, so sachlich folgen die Szenen des Films aufeinander. Dadurch entsteht eine geradlinige Eindringlichkeit, die ihren bedrückenden Höhepunkt findet, nachdem Anne erfährt, dass sie schwanger ist. Sie will kein Kind von den Tätern haben und treibt es selbst ab. Die zurückhaltende Montage der Szene belässt Anne die Würde, vermittelt mithilfe des Tons und kurzen Einstellungen des Schmerzes sowie der Anstrengung aber die Tragweite des Eingriffs. Ihre körperliche Reaktion wird zu einem Seelenspiegel.

Auf der anderen Seite steht Joseph, der als typischer Mitläufer die Schuld nicht ertragen kann, die er auf sich geladen hat. Sein soziales Umfeld besteht zu einem großen Teil aus fanatischen Bandenmitgliedern, weil er keine nennenswerte Arbeit hat. Nach der Tat meidet Joseph deren Gesellschaft, was ihn zwischen die Fronten bringt. Einfühlsam schildert Kibinge die Versuche des jungen Mannes, durch heimliche Helfertätigkeiten das wiedergutzumachen, was sich nicht wiedergutmachen lässt. Doch zu einer echten Auseinandersetzung ist er kaum fähig, weil er ein Leben ohne Orientierung führt. Er hängt zwischen perspektivlosen Aushilfsjobs fest und findet keinen Halt.

Die Gegenüberstellung der beiden Handlungsstränge mag zwar ein wenig konstruiert wirken, aber Kibinge nutzt Täter- und Opferperspektive für eine gelungene Auseinandersetzung mit den Folgen der Gewalt, in die sie auch subtile gesellschaftliche Beobachtungen eingeflochten hat.

Die DVD überzeugt mit guter Schärfe und kräftigen Farben. Alles sieht frisch und natürlich aus. Das passt zum unaufgeregten Inszenierungsstil Kibinges. In einzelnen dunklen Szenen werden allerdings immer wieder Details verschluckt, sonst leistet sich der Kontrast keine Schwäche. Die DD 5.1-Abmischung nutzt die hinteren Lautsprecher für Musik, manchmal kann man auch ein paar Nebengeräusche hören. Die leicht-räumliche Wirkung ist gelungen, die Dialoge lassen sich einwandfrei verstehen. Beim 2.0-Ton fallen die zarten Surroundanklänge natürlich weg, die Qualität stimmt sonst genauso.

Als Bonus ist ein rund 30-minütiges Gespräch mit Judy Kibinge (Regie) enthalten, das am 10. November 2013 auf dem Afrika Eye Festival in Bristol geführt wurde. Darin geht es unter anderem um einzelne Themen des Films und deren sozialpolitische Hintergründe in der kenianischen Gesellschaft. Eine informative Konversation, die dem Film zusätzliches Fundament verleiht. Der Trailer zu Something Necessary ist auf der DVD ebenfalls enthalten.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/something-necessary