Fear and Desire

Das Ende der Vernunft

Eine Filmkritik von Stefan Dabrock

Stanley Kubrick mochte sein Spielfilmdebüt Fear and Desire überhaupt nicht. Es wird kolportiert, dass er selbst versucht haben soll, sämtliche Kopien aufzukaufen, um den Film quasi aus der Welt zu schaffen. Wenn das sein Plan war, so hat er ihn jedoch nicht ganz erreicht. Deswegen konnte das nur sehr selten aufgeführte Werk vor wenigen Jahren restauriert werden und ist jetzt auch in Deutschland auf DVD erschienen.
In einem fiktiven Krieg sind die vier Soldaten Corby (Kenneth Harp), Mac (Frank Silvera), Sidney (Paul Mazursky) und Fletcher (Stephen Coit) mit ihrem Flugzeug hinter den feindlichen Linien abgestürzt. Sie befinden sich in einem Wald, aus dem sie so schnell wie möglich in Richtung der eigenen Truppen entkommen wollen. Am besten unverletzt. Mangels besserer Vorschläge planen sie, ein Floß zu bauen, mit dem sie nachts still und heimlich durch die feindlichen Linien schlüpfen wollen. Denn der Fluss führt zu den eigenen Leuten. Aber während die Soldaten sich an die Arbeit machen, werden sie immer wieder von unvorhergesehenen Ereignissen oder den eigenen Gedanken gestört.

Bereits die Erzählerstimme am Anfang weist auf die Allgemeingültigkeit der gezeigten Ereignisse hin, indem jede Anknüpfung an reale historische Kriege abgestritten wird. Alles steht für die Auswirkungen, die Menschen in solchen Grenzsituationen grundsätzlich erfahren können. Daher baut Kubrick auf eine abstrakt wirkende Modellsituation, in der er die Soldaten beobachten kann. Der Feind bleibt fast vollständig gesichtslos. Ein Armeetransporter, dessen Besatzung nicht zu sehen ist, sowie ein Flugzeug, dessen Piloten vom Boden aus nicht wahrnehmbar sind, deuten lange Zeit als einziges darauf hin, dass es überhaupt einen Gegner gibt. Die abgestürzten Soldaten befinden sich in einer isolierten Situation, in der sie auf sich selbst zurückgeworfen sind. Das ändert sich auch nicht, als andere Menschen in Form eines Fischermädchens sowie einiger feindlicher Kämpfer auftauchen, weil sämtliche Kontakte zur Außenwelt kommunikationslos bleiben. Das Mädchen versteht sie nicht und die Gegner werden lieber abgeknallt, bevor man selbst eine Kugel im eigenen Fleisch findet.

Aus der Isolation schöpft Kubrick die zunehmende Anspannung, die sich der Soldaten bemächtigt. Der scheinbar einfache Plan wird immer wieder sabotiert. Daraus entwickelt sich eine Existenzangst mit fatalen Folgen. Als der unerfahrenste der vier Kameraden das an einen Baum gefesselte Fischermädchen bewachen soll, während die übrigen nach dem rechten sehen, scheitert er aufgrund der Sprachbarriere daran, mit ihr direkt Kontakt aufzunehmen. Ängste und Unsicherheiten auf beiden Seiten machen es auch unmöglich, dass die Kluft auf anderem Wege überwunden werden kann. Während das Mädchen um die eigene Unversehrtheit fürchtet, entwickelt der Soldat in seiner Verzweiflung ein unstillbares Verlangen, ihre Nähe auf körperliche Weise zu gewinnen. Als er merkt, das sein Übergriff keineswegs auf Gegenliebe stößt, lässt er erst seine Schusswaffe sprechen, bevor er endgültig dem Wahnsinn verfällt. Sein Geist findet angesichts des Wegfalls sozialer Kontakte keinen anderen Ausweg mehr. Der Wunsch zur Nähe hat ihn erst in einen Menschen verwandelt, der mit Späßen Vertrautheit entwickeln will, dann in eine Bestie, die sich mit Gewalt nehmen will, was ihr verwehrt bleibt, und schließlich in ein Wrack. Niemand ist auf eine Grenzsituation wie den Krieg vorbereitet, das zeigt Kubrick auf erschütternde Weise.

Auch die übrigen Soldaten verlieren jegliche Vernunft, weil die Instinkte das Regiment übernehmen. Ihre Hirne lassen Ideen vom Heldentum ins Kraut sprießen, mit dem der ganzen Angelegenheit ein Sinn verliehen werden soll, oder aber sie wehren sich zumindest nicht dagegen. Der anfängliche Plan einer geräuschlosen Floßfahrt durch die feindlichen Linien wird langsam aber sicher Makulatur. Der Wahnsinn kennt neben der Flucht in die unzugänglichen Regionen des eigenen Geistes auch den Wunsch zur Größe. Das Handeln nimmt selbstmörderische Züge an.

Kubrick seziert das menschliche Selbstverständnis, vernünftig und intelligent zu agieren, indem er den langsamen Zusammenbruch einer Strategie präsentiert. Die rationale Seite des Menschen befindet sich angesichts der Bedrohung, der Angst vor dem eigenen Tod und der Isolation in einem inneren Kampf mit den Instinkten. Die harten, oft auch elliptischen Schnittfolgen, bei denen einzelne Informationen nur erahnt werden können, reflektieren die Wucht der Emotionen sowie die Unfähigkeit der Menschen, die Lage voll zu erfassen. Trotz des nahezu gleißenden Sonnenlichtes, das die Szenerie hell erstrahlen lässt, erschafft Kubricks Kameraarbeit eine seltsame Gefängnissituation, weil die Ausschnitte niemals ein umfassendes Bild liefern. Der Gegensatz aus guter Sicht und eingeschränktem Wissen entwickelt ein mörderisches Unbehagen, das die Ängste der Soldaten auch inszenatorisch auf den Punkt bringt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/fear-and-desire