213 - Das Gang Projekt

Leben und Sterben in L.A.

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Jenseits von Hollywood und noblen Stadtteilen liegt in Los Angeles das Territorium von Gangs wie den Crips und den Bloods, der 18th Street Gang und den BTLS13. Sie kontrollieren den Drogenhandel auf den Straßen; Gewalt, Schießereien und der Tod gehören für die Gangmitglieder meist von Kindesbeinen an zu ihrem Alltag.
Für seine Dokumentation 213 – The Gang Project – 213 ist die Vorwahl von Los Angeles – hat Robert E. Ball Jr. mit Gang-Mitgliedern gesprochen und sie einige Monate begleitet: Zone ist ein OG, ein Original Gangsta, für die Bloods, er treibt sich auf der Straße herum und genießt seinen Erfolg bei den Frauen. Im Verlauf des Films muss er ein zweites Mal ins Gefängnis – sollte er abermals verurteilt werden, droht ihm eine lebenslängliche Haftstrafe. Die Bloods sind – wie die Crips – eine afroamerikanische Gang. Sollten sich ihre Wege kreuzen, wird es tödlich enden.

Der inhaftierte Chako ist ein hohes Mitglied der hispanischen 18th Street Gang, der er sich im Alter von 12 Jahren anschloss. Er erzählt offen von der Organisation der Gang, der Zusammenarbeit mit der mexikanischen Mafia und wie er den Rampart-District in der Nähe des MacArthur Parks unter seine Kontrolle gebracht hat. Dagegen ist Mr. Cholo bei der Big Top Loco Surenos 13 Gang, die ebenfalls mehrheitlich hispanisch und ein Rivale der 18th Street Gang ist. Auch er wird während der Dokumentation verhaftet und verurteilt. Der vierte Protagonist William „Grumpy“ Fisher III, gehört der Gefängnisgang Nazi Low Rider an. Er gibt selbst an, dass er im Krieg gegen andere Rassen sechs Menschen ermordet hat – und ist sehr religiös. Sie erzählen detailliert von ihrer Gang und ihren Taten, hier wird erst im Nachhinein die Offenheit teilweise durch ihren Ausstieg erklärt.

Von Anfang an erinnert 213 – The Gang Project an eine Fernsehdokumentation, die möglichst cool und lässig erscheinen will. Vor weißem Hintergrund stellt Robert E. Ball Jr. seine Protagonisten vor, verweist mit Einblendungen und an Comics erinnernden Schriftzügen auf ihre Gangs und weitere Mitwirkende. Auch Slang-Ausdrücke und Gang-Jargon werden durch poppige Einblendungen, die zudem vorgelesen werden, erläutert. In der ersten halben Stunde dominiert zudem die Selbstdarstellung der Protagonisten. Bevor die Dokumentation aber in eine Glorifizierung des Gangstertums abdriftet, erweitert Robert E. Ball Jr. den Blickwinkel auf das tatsächliche Leben seiner Protagonisten – in diesem Fall insbesondere auf ihre Beziehungen. Zwei der Protagonisten sind seit längerer Zeit mit derselben Frau liiert: Chako sitzt im Hochsicherheitstrakt und hat im Gefängnisbus seine große Liebe Puppet kennengelernt. Sie heirateten und Puppet glaubt fest daran, dass sie irgendwann gemeinsam leben werden. Mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit erzählen sie von ihrer gemeinsamen Zeit, zu der cracksüchtige Prostituierte wie unerzogene Kinder gehörten. Auch Grumpy ist seit einiger Zeit mit Sarah "The Aryan Princess" liiert und sie heiraten im Verlauf des Films. Bei Sarah finden sich spannende Widersprüche: Ihre Zeit im Gefängnis hat sie mit Hilfe einer hispanischen Frau überstanden, nun holt sie ihren Schulabschluss nach und will Kindern und Jugendlichen helfen – aller Hautfarben, wie sie betont. Dennoch ist sie überzeugt, dass die Rassen getrennt voneinander leben sollten.

Leider findet Robert E. Ball Jr. in seiner Dokumentation nicht immer die richtige Mischung aus bloßem Zeigen und ironisch-verharmlosenden Bemerkungen. Gerade zu Beginn hätte er sich mit den enervierenden Kommentaren aus dem Off, die bisweilen an eine Kindersendung erinnern, zurückhalten sollen. Wie stark seine Bilder mitunter sind, zeigt sich beispielsweise in der Sequenz, in der "The Aryan Princess" mit ihren Töchtern ins Gefängnis fährt. Auf dem Weg singen sie und ihre Tochter ihr Lieblingslied, in dem Rudolf Hess als Held gefeiert wird. Die Selbstverständlichkeit lässt einen hier ebenso sprachlos zurück wie die Selbstverständlichkeit, mit der Gangs zum Leben in bestimmten Gegenden von Los Angeles gehören. Bereits ein vierjähriges Kind ist mit Zone auf der Straße unterwegs, die meisten seiner Freundinnen geben an, mit Gangs aufgewachsen zu sein.

Insgesamt erlaubt der Film bisweilen überraschend offene Einblicke in das Leben von Gangmitgliedern, allerdings sind – sofern man Filme wie Training Day, End of Watch oder Boyz in the Hood gesehen hat – vor allem die Details interessant. Hier ist es schade, dass der Film nicht einen Überblick über die verschiedenen Gangs bietet, sondern stattdessen in einem an die Sendung mit der Maus erinnernden Einspieler erklärt, wie einfach Crystal Meth hergestellt werden kann – was allerdings spätestens durch Breaking Bad weitgehend bekannt sein dürfte. Dadurch erscheinen viele Szenen als wohlkalkulierte Tabubrüche, die wohl lediglich Zuschauer überraschen dürften, die mit Los Angeles ausschließlich die Glitzerwelt von Hollywood verbinden.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/213-das-gang-projekt