Elio Petri Edition

Ein Meister zwischen den Stühlen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Betrachtet man die Rezeption der Filme Elio Petris in seiner Heimat, so gilt er wohl als einer der am meisten unterschätzten Filmemacher Italiens der 1960er und 1970er Jahre. Ganz anders hingegen sieht es im Ausland aus. Dort konnte der 1929 geborene und 1982 an den Folgen einer Krebserkrankung verstorbene Regisseur gleich eine ganze Reihe hochkarätiger Filmpreise erringen: 1967 gewann er mit Zwei Särge auf Bestellung / A ciascuno il suo beim Filmfestival von Cannes den Preis für das beste Drehbuch. Drei Jahre später erhielt sein Werk Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger / Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto ebenfalls in Cannes den Sonderpreis der Jury und den FIPRESCI-Preis der internationalen Filmkritik und wurde zudem 1971 mit dem Oscar als bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet. 1972, abermals in Cannes, errang er mit Die Arbeiterklasse geht ins Paradies / La classe operaia va in paradiso gar den Grand Prix des Festivals. Eigentlich unverständlich, dass viele seiner Filme bislang in Deutschland nur schwer oder gar nicht erhältlich waren. Das ändert sich gottlob gerade. Vor einiger Zeit kam beim verdienstvollen DVD-Label Bildstörung Petris verstörende Dystopie Das 10. Opfer / La decima vittima heraus, nun folgt Koch Media mit einer Elio Petri Edition, die drei seiner wichtigsten Filme versammelt.
Im ersten Film der Edition, Zwei Särge auf Bestellung / A ciascuno il suo aus dem Jahre 1966, geht es um die Morde an dem Augenarzt Dr. Rosico und an dem Apotheker Manno. Zwar werden bald schon drei Tatverdächtige verhaftet, doch der Professor Paolo Laurana (Gian Maria Volonté) ermittelt auf eigene Faust und stößt schon bald auf eine Spur, die die Verhafteten entlastet: Die Morddrohungen, die die Opfer vor ihrem Tod erhielten, sind aus einer Zeitung für Priester zusammengesetzt worden – eine Lektüre, die nur schwerlich zu den Verdächtigen passt, die allesamt arme Bauern sind. Lauranas Verdacht: Offenbar wusste Rosico zuviel über die kriminellen Machenschaften eines ehrwürdigen Mitglieds der Gesellschaft und musste deshalb sterben. Doch die Ermittlungen des Akademikers haben ihren Preis – bald schon erhält auch er die ersten Drohbotschaften.

Im zweiten Film der kleinen Werkschau Das verfluchte Haus / Un tranquillo posto di campagna aus dem Jahr 1969 unternimmt Petri einen radikalen Stilwechsel weg vom Mafiafilm und hin zu einer wilden Mixtur aus Grusel, Crime, Psychodrama und Künstlerepos: Auf der Suche nach Inspiration landet der Maler Leonardo Ferrini (Franco Nero) in einem Haus auf dem Lande, in dessen Mauern vor einigen Jahren ein bis heute ungeklärter Mord geschah. Und je länger Leonardo dort wohnt, desto mehr scheint das Haus mit ihm zu sprechen. Es beginnt eine Reise in den Wahnsinn...

Auch der dritte Teil der Edition zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er sich von seinen Vorgängern radikal unterscheidet: Die Arbeiterklasse geht ins Paradies / La classe operaia va in paradiso ist ein Sozialdrama reinsten Wassers, bei dem man Petris Sympathie für die Kommunistische Partei Italiens (die er allerdings schon 1956 nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes verließ) deutlich spürt. Deutlich am Stil des Neorealismus der Nachkriegsjahre angelehnt erzählt Petri von dem einfachen Fabrikarbeiter Lulu (Gian Maria Volonté), dessen Ehrgeiz ihm nicht gerade viele Freunde unter seinen Arbeitskollegen einbringt. Erst als er bei einem Arbeitsunfall einen Finger verliert, setzt bei ihm ein Prozess des Umdenkens ein, er schließt sich den Protesten der Studenten an und verliert schließlich seine Arbeit.

Vielleicht ist es ja gerade die enorme Vielfalt an Stilen und Themen, die dafür sorgte, dass Elio Petri in seiner Heimat nie die Anerkennung fand, die ihm eigentlich gebührte. Denn wenn ein Regisseur so wandlungsfähig ist, solch ein breites Repertoire an künstlerischen Ausdrucksformen besitzt (und diese sich deutlich sichtbar an Genres orientieren und virtuos mit deren Konventionen spielen), dann führte dies in den 1970er Jahren oft zu der verbreiteten Fehleinschätzung, solch ein Filmemacher könne nicht wirklich von Rang und Bedeutung sein. Seit dieser Zeit, die vor allem vom Auteur-Gedanken und der verhängnisvollen Unterscheidung von Kunstkino vs. Genrefilm geprägt war, haben sich die Haltungen der Kritik zu diesem Themenkomplex gottlob gewandelt. Somit steht einer Wieder- bzw. Neuentdeckung Elio Petris nun – auch dank dieser schönen Edition, die noch von einigen sehenswerten Featurettes und einer Dokumentation über den Filmemacher begleitet wird, nichts mehr im Wege.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/elio-petri-edition