Femme Fatale

Elegantes Thriller-Puzzle

Eine Filmkritik von Stefan Dabrock

Die Femme Fatale, ein bekannter Rollentypus aus den klassischen Noir-Werken Hollywoods, bildet den Aufhänger für Brian de Palmas gleichnamigen, spirituellen Rätsel-Thriller. Folgerichtig sieht sich die Hauptfigur Laure (Rebecca Romijn-Stamos) zu Beginn Billy Wilders Double Indemnity an, in dem Barbara Stanwyck die erotische, Männer verderbende Femme Fatale spielt. Aber die scheinbar eindeutige Identitätszuweisung ist nur der Ausgangspunkt, von dem aus die Entwicklung Laures startet.
Gemeinsam mit ein paar männlichen Ganoven möchte sie am Abend bei den Filmfestspielen in Cannes den diamantenbesetzten Schmuck eines Filmstars rauben. Kurz vor Beendigung des Coups läuft etwas schief, einer der Komplizen wird angeschossen, aber Laure gelingt es, mit dem Schmuck das Galakino zu verlassen. Durch einen puren Zufall ergibt sich für die hübsche Diebin die Gelegenheit, eine andere Identität anzunehmen, sodass sie gefahrlos nach Amerika fliegt. Sieben Jahre später kehrt sie als Frau des amerikanischen Botschafters (Peter Coyote) nach Frankreich zurück, wo ihre damaligen Komplizen nur auf eine Spur warten, um sich zu rächen. So werden die Bilder eines Paparazzos (Antonio Banderas) für Laure zur lebensbedrohlichen Gefahr.

Brian de Palma thematisiert das Geheimnisvolle, das eine Femme Fatale immer umweht, auf der Ebene der Wahrnehmung. Häufiger noch als in seinen vorangegangenen Arbeiten rückt er Situationen in den Mittelpunkt, die Menschen beim Beobachten anderer Menschen zeigen, die also über Ihre Wahrnehmung der Welt Geheimnisse offenlegen wollen.
Mithilfe der einzelnen Details gelingt es ihm, immer wieder neue Spuren auszulegen. Die Stiefel einer in Militäroptik gekleideten Frau, deren Identität zunächst unklar bleibt, entwickeln angesichts der stilisierten Zeitlupenästhetik und des offensiven Sounddesigns ihrer Schritte eine Sogkraft. Geheimnis und Beobachtung verschmelzen zu einer Reflexion über Voyeurismus, die de Palma mit Fetischmotiven anheizt. Denn die aus der Untersicht gefilmte Frau trägt nicht nur hohe Stiefel, sondern auch Hotpants. Dabei ruft das Geheimnis die Lust an der Beobachtung hervor, die in der erotisch aufgeladenen Stilisierung mündet. Die äußeren Zeichen des Fetisch spiegeln die Natur der Beobachtungslust wieder. Das Geheimnis erhält eine sexuelle Note, deren Kraft sich aber sogleich in Gewalt verwandelt, als weitere Figuren auf den Plan treten. Die Zeichen und ihre Bedeutungsebenen vermischen sich auf diese Weise zu einem brillant überhöhten Rätsel der Spannung.

Der exzessive Einsatz solcher Techniken in Verbindung mit Split-Screen-Aufnahmen ermöglicht es de Palma, die Oberflächenspannung der Geschichte für eine spirituelle Wendung zu nutzen. Die vervielfachten Triebmotive präsentieren eine gefährliche, unkontrollierbar scheinende Welt, in der Laure untergehen könnte. Sie erfährt aber eine engelsgleiche Neuinterpretation. Übergeordnete Kräfte wirken auf ihre Persönlichkeit ein, sodass sie eine zweite Chance erhält. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität entwickelt vor dem Hintergrund dramatischer Konfrontationen mit dem Tod eine universelle Kraft. De Palma war nicht daran interessiert, einen einfachen Thriller zu erzählen, der für ihn typische Motive aus Sex, Voyeurismus und ästhetischer Stilisierung enthält, sondern er wollte diese Elemente einer Neuinterpretation unterwerfen. Das ist ihm auf eindrucksvolle Weise gelungen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/femme-fatale