Das wilde Schaf

Eine bitter-süße französische Satire

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Es sind schon kuriose, gemeinhin hierzulande leider weniger bekannte kleine französische Filmperlen, die innerhalb der Edition Cinema Francais bei der Babelsberger FilmConfect GmbH erscheinen. Wenn auch die ganz hervorragenden Schauspieler wie Romy Schneider, Gérard Depardieu, Jane Birkin und Jean-Louis Trintignant durchaus weltweit populär sind, kennt man sie doch überwiegend aus ihren markanten Erfolgsfilmen, obwohl sie einiges Sehenswertes darüber hinaus zu bieten haben. Eine geschickt inszenierte, bitter-süße Satire stellt in diesem Rahmen Das wilde Schaf von Michel Deville aus dem Jahre 1973 dar, dessen bissiger, erotisch kräftig durchwirkter Charme gewaltiges Vergnügen bietet.
Niemand – nicht einmal er selbst – hätte geahnt, dass sich in dem unauffälligen, gewöhnlich recht schüchternen Bankangestellten Nicolas Mallet (Jean-Louis Trintignant) ein wahrer Frauentyp verbirgt. Eines Tages in der Mittagspause legt er unvermittelt seine Hand auf die Schulter der jungen Schönheit Marie-Paule (Jane Birkin), spricht sie couragiert mit der Bemerkung „Sie warten auf jemanden, den es gar nicht gibt“ an und lädt sie spontan auf einen Drink ein. Rasch muss sie wieder fort, doch Nicolas ist locker für den nächsten Tag mit Marie-Paule verabredet, fest entschlossen, dann mit ihr zu schlafen. Beeindruckt durch dieses außergewöhnliche Ereignis berichtet Nicolas später seinem Freund Claude Fabre (Jean-Pierre Cassel) davon, der als Schriftsteller viel Zeit in einem kleinen Café verbringt, dort mit Nachhilfe ein wenig Geld verdient und ansonsten für seine Manuskripte eine Absage nach der anderen kassiert.

Als die beiden bei ihrer nächsten Begegnung tatsächlich miteinander schlafen, obwohl Nicolas sehr brutal mit der ihm völlig ergebenen Marie-Paule umgeht, ernennt sich Claude bei der anschließenden Analyse der seltsamen Geschichte zu Nicolas Coach, damit dieser künftig aus seinem offensichtlichen Talent, Frauen für sich zu gewinnen, auch kräftig Kapital schlagen kann. Nicolas ist einverstanden, vertraut dem erfolglosen Schreiber ohne Einschränkung, und von nun an wandelt sich das gemächliche Leben des Bankangestellten drastisch: Nicolas gibt seine Arbeit auf, verführt reihenweise so attraktive wie wohlhabende Damen, kauft schließlich eine abgetakelte Zeitung auf und avanciert zu einer einflussreichen Persönlichkeit mit reichlich Liebschaften, wobei sein Herz offenbar der schönen Roberte (Romy Schneider) gehört, die schließlich ein Kind von ihm erwartet. Als jedoch ihr Ehemann Georges (Michel Vitold) hinter die Affäre kommt, kommt es zu einer Tragödie ...

In seinem eigenen Leben so genügsam wie wenig effektiv sendet der gehbehinderte Schriftsteller Claude mit sorgfältig geplanter Strategie seinen treuen Freund Nicolas aus, auf dass dieser trickreich sein Glück in der Welt schmiede, das sich allerdings als reichlich ambivalent entpuppt. Nach dem Roman Le mouton enragé des französischen Schriftstellers Roger Blondel alias René Bonnefoy erzählt Michel Deville nach dem Drehbuch von Christopher Frank diese dramatisch überhöhte und spannende Geschichte einer ungewöhnlich ausartenden Männerfreundschaft, die sowohl eine zynisch-köstliche Kritik an der französischen "haute société" enthält als auch wahrhaft tragische Entwicklungen, die allerdings rasch im Lauf der Ereignisse fortgewischt werden. Das bewegende Finale, das eine pathetisch-humorige Reminiszenz an diese Freundschaft darstellt und elegant auf den Beginn des Films referiert, ist trotz aller Verluste überraschenderweise ein durchaus glückliches, das dennoch einen gehörigen Schelm in Regisseur Michel Deville (Der Tölpel / Le paltoquet, 1986, Die Vorleserin / La lectrice, 1988, Sweetheart / Toutes peines confondues, 1992) vermuten lässt.

Eine wunderbare Zugabe der DVD ist der Kurzfilm Cul de sac / La culotte d’une zouave von Marc Salmon, der eine witzige moderne Version vom Thema der entzückenden Ballade Der Handschuh bietet. Das wilde Schaf besticht nicht zuletzt durch die absolut sehenswerten schauspielerischen Qualitäten. Auch wenn sich die bezaubernde Romy Schneider mit ihrer hübschen Stimme, der gelassene Jean-Pierre Cassel mit seinem satirischen Scharfsinn und die kecke Jane Birkin mit ihrer reizenden Naivität neben vielen anderen großartigen Akteuren in diesem von erotischen Ansehnlichkeiten flankierten Film ganz hervorragend präsentieren, ist es doch der so unspektakulär erscheinende Darsteller Jean-Pierre Trintignant, der hier wieder einmal zuvorderst brilliert – ein kluger, provokanter Film, der bestens unterhält.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/das-wilde-schaf