Abschied – Brechts letzter Sommer

Trügerische Idylle im Landhaus am See

Eine Filmkritik von Marie Anderson

In einen einzigen Tag hat der Regisseur Jan Schütte gemeinsam mit dem Drehbuchautor Klaus Pohl seine stark biographisch orientierte Perspektive auf den alten Bertolt Brecht (1898-1956) gefasst, wenige Tage vor dessen Tod. Das in wunderschöner Landschaft an einem See gelegene Landhaus des politischen Menschen, Autors, Künstlers und Dramatikers in Buckow bildet die idyllische Kulisse, innerhalb welcher sich Bert Brecht (Josef Bierbichler) umgeben von den für sein Leben bedeutsamen Frauen auf die bald beginnenden Theaterproben für sein neues Stück vorbereitet, Gedichte schreibt und sich sozial-politischen Diskussionen mit dem Philosophen Wolfgang Harich (Samuel Finzi) widmet, der mit seiner Frau Isot (Rena Zednikowa) zu Besuch ist, die ein Liebesverhältnis mit Brecht unterhält. Mit von der Partie sind Brechts Ehefrau Helene Weigel (Monica Bleibtreu), die energisch bemüht ist, das Zepter über Haushalt und Herrn in der Hand zu behalten, seine Tochter Barbara (Birgit Minichmayr), seine hingebungsvolle Assistentin Elisabeth Hauptmann (Elfriede Irrall), seine einstige, nunmehr verbittert-trunkene Geliebte Ruth Berlau (Margit Rogall) sowie die junge Schauspielerin Käthe Reichel (Jeanette Hain), die neuste auch erotische Entdeckung des kranken Dichters, um den die getreuen Weiblichkeiten mit ausgefahrenen Krallen kreisen.
Die Anwesenheit von zwei Offizieren der Staatssicherheit, die gekommen sind, um den unkonformen Wolfgang Harich festzunehmen, hält Helene Weigel wohlweislich vor ihrem kranken Mann verborgen, der ihr gegenüber in fiebriger Verfassung daran zweifelt, ob die Deutsche Demokratische Republik denn der geeignete Aufenthaltsort für ihn sei. Um Brecht zu schonen, soll die Verhaftung des Regime-Kritikers erst nach seiner Abreise erfolgen, und auf dem Weg nach Berlin werden Wolfgang Harich und seine Frau dann auch vom Motorrad mit Beiwagen aus verhaftet, während Brecht mit den Frauen im Auto voranfährt, die Augen geschlossen, zwischen Helene Weigel und seiner jungen Geliebten Käthe Reichel.

Unrasiert und in sichtbar schlechter Verfassung, grantig und mitunter trübsinnig in sich selbst versunken bei wenigen lichten Momenten erscheint Bertolt Brecht hier als ermatteter, nichtsdestotrotz ungebrochen geistig umtriebiger und exzentrischer Mann, der anspruchsvoll und ohne Anstrengung Hof hält, sich der duldsamen Verehrung seiner Frauen zwar gewiss, aber durchaus mit der leisen Angst vor ihren deutlich durchschimmernden Ausbrüchen, vor allem in Bezug auf Ruth Berlau. Bei Zeiten verlangt er nach seiner alten, muffigen Kappe, die unauffindbar ist und tatsächlich von seiner Tochter Barbara verbrannt wurde, nachdem sie angewidert daran gerochen hat – von starken Symbolen wie diesem durchwirkt setzt Abschied – Brechts letzter Sommer auf signifikante Stimmungen und die brisante Atmosphäre der schwelenden Beziehungen, um die alternde Persönlichkeit des legendären Bertolt Brechts zu skizzieren, dessen Leben hier vom nahen Abschied umwittert wird. Unzählige Details in den Dialogen der Protagonisten deuten auf die facettenreiche Vita des ungefälligen Dramatikers hin, dessen künstlerische Dimensionen ganz eng mit seinen privaten verknüpft sind.

Der Drehbuchautor Klaus Pohl, dessen Frau eine Nichte Bertolt Brechts ist, hat in akribischer Recherche das Material zusammengetragen, das diesen intensiv gestalteten Spielfilm entstehen ließ, der in poetischer Freiheit eine durch Überhöhung und Verdichtung geprägte Sequenz aus dem Leben des Begründers des epischen Theaters präsentiert. Da sind die Frauen, die seine Arbeit in wesentlichem Maße zumindest gefördert haben, die sichtbar unter seinem rücksichtslosen Charakter leiden, aber dennoch freiwillig in seinem Dunstkreis verharren, untereinander überwiegend misstrauisch bis feindlich gesonnen, stets in der Hoffnung, ein Quentchen seiner Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen. Die Debatte, inwiefern insbesondere Ruth Berlau und Elisabeth Hauptmann, aber auch Helene Weigel an der Entstehung von Brechts Werken beteiligt waren, findet hier ebenso Eingang wie seine offen gelebten gleichzeitigen Beziehungen zu mehreren Frauen, die nicht selten gemeinsame Zeiten miteinander verbrachten.

Bert Brechts berühmtes Gedicht Erinnerung an die Marie A. wird hier von einem Knaben aus einer Schar von Jungpionieren aus der Gegend von Buckow zur Verabschiedung des Dichters rezitiert, der am Abend nach Berlin zurückkehren wird und den diese Darbietung zu Tränen rührt – einer der stark emotionalen Augenblicke dieses in gemächlicher Langsamkeit verlaufenden Films, der dennoch vor verhaltenen und teilweise drastisch zum Ausdruck kommenden Gefühlen bebt. Abschied – Brechts letzter Sommer transportiert auf äußerst ansprechende Art einige signifikante Aspekte vom Leben und Lebensgefühl des großen Dramatikers, dessen umfangreiches Schaffen in über fünfzig Sprachen übersetzt wurde und noch heute regelmäßig zur häufig frequentierten Schullektüre gehört.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/abschied-brechts-letzter-sommer