Die Frau meines Lebens

Großes französisches Kino der Emotionen

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Noch bemüht er sich mit verzweifeltem Eifer, seinen Zustand zu verbergen, doch der erfolgreiche Solo-Violinist Simon (Christophe Malavoy), der mit der Orchster-Managerin Laura (Jane Birkin) verheiratet und in leidenschaftlicher Liebe verbunden ist, befindet sich durch seine Alkoholabhängigkeit offenbar kurz vor dem absoluten Absturz. Nachdem er während eines Konzerts auf der Bühne zusammenbricht, sucht Simon aus Scham über sein Versagen vor allem Kontakte zu Laura zu vermeiden, die sich kräftig um ihn sorgt. Als er vorübergehend bei seinem Musiker-Freund Bernard (Andrzej Seweryn) unterkommt und unter gewaltigem Suchtdruck dessen Kinder brutal attackiert, flüchtet Simon mit seiner Geige aus dem Haus, verzweifelter denn je.
Seine Hände zittern derart, dass der Rotwein über den Rand des vollen Glases schwappt, das Simon in einem Bistro bestellt hat. Da erscheint die Hand eines Fremden vor dem Gesicht des weinenden Simon, hilft ihm zu trinken, die zweite Hand stützt dabei fürsorglich den Kopf. Als das Zittern verebbt, begegnen sich die Blicke der beiden Männer. "Wollen Sie nach Hause?" fragt Pierre (Jean-Louis Trintignant) Simon, der schluchzend verneint. "Wollen Sie mit zu mir?" Simon nickt, und diese Zustimmung ist der Beginn einer drastischen Wende im Leben des alkoholkranken Musikers, ebenso wie der Anfang einer seltsamen Männerfreundschaft, innerhalb welcher Pierre den Gestrauchelten unter seine strengen, doch förderlichen Fittiche nimmt.

Es ist das Spielfilmdebüt des französischen Filmemachers Régis Wargnier (Indochine, 1992, Eine französische Frau / Une femme française, 1995, Est-Ouest, 1999), das in starken Bildern und mit einem emphatisch aufspielenden Ensemble die gleichermaßen spannende wie bedrückende Geschichte eines Mannes erzählt, der sich mit der Unterstützung eines selbst darin erfahrenen Wohltäters aus den Fängen seiner Alkoholsucht befreien kann und in diesem Rahmen seine Wertpräferenzen gründlich wandelt. Mit erstaunlicher Sensibilität und Fachkundigkeit thematisiert der Regisseur und Drehbuchautor brisante Aspekte wie hilflose Helfer, Co-Abhängigkeit sowie die Funktionalisierung von Sucht für ein vordergründig erfolgreiches Leben.

Die Frau meines Lebens könnte ebenso gut den Titel "Der Mann meines Lebens" führen, denn es ist die unsagbar beeindruckende Figur des lebensklugen und beherrschten Pierre, die hier zum Schicksalsboten des süchtigen Musikers wird. Geradlinig und fürsorglich – ohne die Selbstgefälligkeit der Gutmenschen – kümmert sich der trockene Alkoholiker mit fundierter Sachkenntnis um Simon, bindet ihn an eine Therapiegruppe an, wo dieser wiederum die schrille Sylvia (Dominique Blanc) unterstützt, mit der er sich allmählich anfreundet. Simons Konflikt, der neuen Freundin in einer Krise beizustehen oder aber die Bedürfnisse seiner Frau Laura zu befriedigen, zählt zu den spannendsten und bewegendsten dieses Films, für den Régis Wargnier mit einem César für das Beste Erstlingswerk ausgezeichnet wurde.

Nominiert für diesen bedeutenden französischen Filmpreis waren auch Christophe Malavoy, Jane Birkin, Jean-Louis Trintignant und Dominique Blanc, die die Ambivalenzen ihrer ansprechend differenziert gestalteten Rollen auf ungeheuer intensive Weise verkörpern. Nicht zuletzt stellt Die Frau meines Lebens ein emotionsreiches Drama über den schmalen Grat von Nähe und Distanz in Beziehungen, über Respekt sich selbst und Anderen gegenüber sowie über die Fallstricke einer großen Liebe dar, die sich in ihrer Leidenschaftlichkeit auch zerstörerisch auswirken kann – das ist großes Kino der empfindlichen Empfindungen, das in seiner schonungslosen Tiefsinnigkeit berührt und bewegt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/die-frau-meines-lebens