Der Leichenverbrenner

Faszinierendes Psychogramm eines Massenmörders

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Man sollte sich nie von der Stimme eines Mannes täuschen lassen oder von dem, was er äußert. Erst recht nicht, wenn es sich dabei um solch ein Scheusal handelt wie Karl Kopfrkingl, der Hauptfigur von Juraj Herz' düster-sarkastischer Satire Der Leichenverbrenner / Spalovač mrtvol aus dem Jahre 1969. Mit wilder Montagetechnik, extremen Kameraeinstellungen und expressiven Schwarzweiß-Bildern wirft der Film einen Blick in die Abgründe eines ganz normalen Bürgers, der zum willfährigen Mordgehilfen der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft wird.
Um dem Massenmörder im Gewand eines Spießbürgers gar nicht erst auf den Leim zu gehen, dient gleich die erste, schwindelerregend geschnittene Sequenz eines gemeinsam sonntäglichen Zoobesuchs von Kopfrkingl (Rudolf Hrusínský) mit seiner adretten Familie der gnadenlosen Demaskierung des Mannes mit der weichen Stimme, den schwammigen Gesichtszügen und der überkämmten Glatze. In wilden Gegenschnitten von Groß- und Detailaufnahmen etabliert Herz den Mann als animalisches Wesen, als Elefanten, Schlange, Tiger, dessen Gerede von der Sorge um seine Familie durch die Schnitte einen bedrohlichen Subtext erhält. Es besteht kein Zweifel – für das eigene Fortkommen und die Erhaltung der eigenen Art wird dieser Mann buchstäblich über Leichen gehen. Und da der nette Herr Kopfrkingl als Leichenverbrenner im Krematorium von Prag arbeitet und wir das Jahr 1939 schreiben, wird er bald mehr zu tun haben, als er sich das hätte träumen lassen. Denn in den Krematorien der nationalsozialistischen Konzentrationslager sind die Dienste Kopfrkingls mehr als gefragt, zumal der im Lauf des Films die Maske der Wohlanständigkeit immer mehr fallen lässt und nicht mal vor dem Mord an seiner jüdischen Frau und seinen Kindern zurückschreckt...

Selbst zu Zeiten der überaus experimentierfreudigen Neuen Welle in der damaligen Tschechoslowakei war ein Film wie Der Leichenverbrenner eine absolute Ausnahmeerscheinung, weswegen Juraj Herz bislang allenfalls als Randerscheinung der tschechoslowakischen Filmkunst jener Jahre wahrgenommen wird. Am Können und der Kunstfertigkeit des Regisseurs kann die Missachtung wohl kaum liegen, viel eher schon an dem Gefühl, das auch den Zuschauer nach diesem Film beschleicht. Trotz Karls offensichtlicher Verrücktheit und der durch die Wahl der Mittel extremen Künstlichkeit des Films verbleibt der Rezipient durchgehend in der Innenperspektive des omnipräsenten Protagonisten, ertappt sich ein ums andere Mal dabei, wie er nicht umhin kann, dessen schrägen Ansichten dann und wann zuzustimmen, um dann im Folgenden erschrocken mitzuverfolgen, wie Karl mit radikaler Konsequenz an sein schauriges Werk geht.

Wirkt Der Leichenverbrenner auf den ersten Blick wie ein experimenteller und satirisch überspitzter Horrorfilm, der exaltiert und ohne jeglichen Realismus das Psychogramm eines geisteskranken Massenmörders, so ist er auch ein politisches Manifest gegen jede Form der Unterdrückung. Wir erinnern uns: Ein Jahr vor Beendigung des Films im Jahre 1969 waren sowjetische Truppen in der Tschechoslowakei einmarschiert und hatten mit eiserner Hand den Prager Frühling niedergeschlagen. Unter dem Eindruck der Ereignisse hatte Herz ein neues Ende für seinen Film gedreht, das sich unmittelbar auf den Einmarsch der Truppen des Bruderstaates bezog. Der Direktor der Barandov-Studios freilich nahm die neue Schnittfassung nicht ab – die Botschaft der zumindest unterschwelligen Gleichsetzung des Einmarschs der Nazis im Jahre 1938 mit der Intervention der Sowjets dreißig Jahre später blieb trotzdem kaum jemandem verborgen.

Lange Zeit war Der Leichenverbrenner von der Bildfläche verschwunden. Kurz nach seinem Start in den tschechoslowakischen Kinos, wo er zu einem der drei erfolgreichsten Arthouse-Filme des Jahres 1969 wurde, verschwand das Werk im Giftschrank der Zensur und feiert erst seit wenigen Jahren eine Wiederentdeckung in Europa und den USA. Herz konnte seine Karriere dennoch fortsetzen und war vor kurzem erst mit seinem gleichermaßen gefeierten wie umstrittenen Film Habermann über die Vertreibung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den deutschen Kinos.

Es ist – man ist das bei Veröffentlichungen des DVD-Labels Bildstörung wirklich schon gewohnt – eine exquisite Neuveröffentlichung, die voller Sorgfalt und mit überaus lesenswertem Booklet und Bonusmaterial wieder einmal einen Blick auf die geheimen Perlen des Arthouse-Kinos wirft, dem man gerne und mit einer Mischung aus Faszination und Grauen folgt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/der-leichenverbrenner