The Raven

Sprach der Rabe: "Nimmermehr..."

Eine Filmkritik von Lida Bach

"Erfahrung hat erwiesen und wahre Philosophie wird immer erweisen, dass ein großer, womöglich der größere Teil der Erkenntnis dem scheinbar Irrelevanten entspringt", schrieb Edgar Allen Poe. Wie viel Wahrheit darin liegt, zeigt James McTeigues Gothic-Thriller The Raven gleich zweimal: auf der Handlungsebene und auf der inszenatorischen Ebene. Die Erkenntnis, die der in düsteren Sets schwelgende Gruselkrimi mit sich bringt, ist ernüchternd: die Horror-Hymne mit dem Meister des Schreckens als Protagonisten gilt weder Poe (John Cusack) noch dessen titelgebendem Gedicht, sondern vor allem der Vermarktung.
Nichtsdestotrotz vermag The Raven dank der ansehnlichen Kulissen und der passend düsteren Stimmung auch zu amüsieren. Schon dadurch sticht er hervor in dem von Red Riding Hood, Snow White and the Huntsman und Abraham Lincoln Vampirjäger markierten Kinotrend. Die halb biografischen oder volkstümlichen, halb fantastischen Horroradaptionen bilden einen Mahlstrom, in den das Drehbuchautoren-Duo Ben Livingston und Hannah Shakespeare das gemeinsame Script schleudert. Die Idee einer Überschneidung von Künstlerbiografie und Werkverfilmung ist an sich ein einträgliches Konzept. Leider jedoch besinnt sich der Plot abgesehen von ein paar oberflächlichen Verweisen kaum auf den durchaus filmreifen Hintergrund seines Protagonisten. Der Titel, der sicherstellt, dass Poes meistzitiertes Gedicht auch sein am meisten für Filmnamen verwendetes Gedicht ist, ist vorrangig ein Publikumsköder. Mehr als für Poes Der Rabe interessiert sich The Raven für Lew Landers Gruselstreifen Der Rabe von 1933, in dem ebenfalls ein von Poes Werken besessener Killer umgeht.

"Anscheinend sind meine eigenen Werke zur Inspiration für einen Mörder geworden!", summiert Edgar Allen Poe, der grimmige Außenseiter unter Baltimores Literaten. Sein Dilemma erinnert an das Sharon Stones in Basic Instinct, mit dem kleinen Unterschied, dass Poes Beziehung zu dem erst gegen ihn, dann mit ihm ermittelnden Inspektor Fields (Luke Evans) weit leidenschaftsloser als die von Sharon Stone zu Michael Douglas ist. Gleiches gilt für die Beziehung von Poe und der zarten Emily (Alice Eve). Die Tochter des despotischen Captain Hamilton (Brendan Gleeson), dessen Abneigung gegen den Dichter der Romanze das fehlende Feuer künstlich einhauchen soll, fehlt die ätherische Zerbrechlichkeit der Titelheldinnen von Eulalie und Annabell Lee und erst recht die unheimliche Geistesmacht einer Ligeia oder Madeleine Usher. Emilys Part dient gleich den übrigen Rollen nicht als Referenz an Poes von Rückschlägen und Tragödien geprägtes Leben, sondern bedient die Mainstream-Konventionen.

Unterhaltsam ist The Raven hauptsächlich optisch. Wenn die viktorianische Detektiv-Story auf dramatischer und psychologischer Ebene auch Federn lassen muss, lockt sie doch mit morbidem Chic und schwarzromantischem Schwelgen. Die Kulissen ästhetisieren romantische Düsterkeit im Stil von From Hell der Brüder Hughes oder McTeagues umstrittener Kinoadaption von V wie Vendetta. Die Mordarten, die der von Poe gejagte Serienkiller in Anlehnung an Szenen aus Grube und Pendel oder Die Maske des Roten Todes ersinnt, ergeben ein schmuckes Potpourrie des Todes. Der erwartet auch den Hauptcharakter, dessen ominöses Ende in der Realität zahllose Spekulationen anregte. Die Liste möglicher Ursachen für Poes frühen Tod reicht von Drogen, über Tollwut und Geisteskrankheit bis hin zu Blutwallungen im Gehirn. Steht eines dieser Leiden hinter den absurden Plotwendungen? Die Antwort gibt The Raven nimmermehr.

Wo die Fantasie des Regisseurs nicht ausreicht, muss das Publikum seine eigene anstrengen: um sich in die würdigen Szenenbilder eine spannende Geschichte zu denken. Mit den Worten des im Thriller halb verballhornten, halb verbrämten Dichters: "Die Nase der Menge ist ihre Vorstellung, an der sie bequem herumgeführt werden kann."

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/the-raven