End of Animal

Engel der Apokalypse

Eine Filmkritik von Lida Bach

"Ich sagte Dir doch, Du sollst zu Hause bleiben, oder?" Aber Sun-yeoung (Lee Min-ji) ist dennoch losgefahren. Der Anhalter (Park Hae-il), den das Taxi der jungen Studentin unterwegs von Seoul zu ihrer Mutter mitnimmt, redet zu viel: von dem Freund, der Sun-yeoung sitzen ließ und der Affäre des Taxifahrers (Kim Young-ho), von Engeln mit scharfen Zähnen und Krallen, die herabsteigen werden, nachdem ein Sonnenwind alles Licht ausgelöscht hat. Irgendwo hat Sun-yeoung sein unter dem Schirm einer Baseballkappe verborgenes Gesicht schon gesehen, doch sie hört nur sein mysteriöses Zählen.
Der beiläufige Countdown des Fremden ist der wohl unheimlichste, der bisher im Kino herunter gezählt wurde. Keine Explosion, kein grelles Spektakel folgt darauf. Nur ein gespenstisches Weiß verschlingt die Welt in Jo Sung-hees mystischem Road-Horror. Das Weiß symbolisiert das Nichts, in dem sich die hochschwangere Hauptfigur wiederfindet. Erklärungen für die Apokalypse verweigert der koreanische Regisseur ebenso wie einen schlüssigen Ausgang. Sein atmosphärisches Spielfilmdebüt konzentriert sich ganz auf das Gefühl von Verlorenheit und Isolation, das die Protagonisten und die Zuschauer der minimalistischen Inszenierung auf Schritt und Tritt verfolgt.

Der Taxifahrer und der unheimliche Fremde sind verschwunden. Sun-yeong erhält keine Antwort, nicht aus dem Handy und nicht vom Motor des Wagens. Das einzige, was von der Normalität zurückgeblieben scheint, ist eine handgeschriebene Notiz, die ihr das Alleinsein noch bewusster macht. Das Monster, das die alptraumhafte Szenerie beherrscht, ist die Einsamkeit. Einziger Begleiter der jungen Frau, die sich mit einer kindlichen Mischung aus Naivität und Zielstrebigkeit durch die abweisende Landschaft schleppt, ist die Kamera. Die fast dokumentarisch anmutende Optik weckt das schleichende Gefühl einer beständig wachsenden Bedrohung. Im scheinbar Banalen, Alltäglichen hat sich das Unheimliche eingenistet, das durch seine Undefinierbarkeit noch beängstigender wird. Etwas lauert im Verborgenen auf die verstörte Protagonistin und es sind nicht nur die vereinzelten Überlebenden, die ihr zwielichtige Hilfsangebote machen.

Die scheinbar überlegte Suche der Charaktere nach Außenkontakt ist tatsächlich Zeichen ihrer Verwirrung. Obwohl die Ereignisse globaler Natur zu sein scheinen, agieren sie, als sei die übrige Welt unverändert. Betäubt von trügerischer Hoffnung werden die Figuren doppelt zu Gefangenen: der beklemmenden Leere und ihrer Illusionen. Mit grausiger Ironie zeigt End Of Animal den Materialismus einer verrohten Gesellschaft, die sich an bedeutungslos gewordene Wertgegenstände krallen, während blutrünstige Engel ihre Klauen nach den Überlebenden ausstrecken.

Die nihilistische Dramaturgie von End of Animal mit ihren undurchsichtigen Charakteren und ans Absurde grenzenden Motiven spiegelt einen neuen logischen Pragmatismus des Endzeitkinos. Nach dem Untergang ist seine Ursache gleichgültig. Entscheidend ist die Reaktion des Einzelnen auf der dystopischen Reise durch ein winterliches Ödland, dessen Kälte die zwischenmenschliche Kühle symbolisiert. Der suggestive Titel verweist parallel auf eine sozialkritische metaphysische Deutung der Handlung. Das Tier, dessen Ende gekommen ist, ist der Mensch, dessen monströses Wesen sich in einer unsichtbaren Kreatur manifestiert, deren Brüllen die drückende Stille erschüttert.

Die zivilisatorische Fassade ist brüchig. Unmittelbar nach dem Zerfall sozialer Normen zeigen sich dahinter Verschlagenheit und Barbarei, deren einziges Ziel das eigene Überleben ist. Der Junge (Park Se-jong) mit dem Baseballschläger, der Mann auf dem Fahrrad (Yoo Sung-mok) - alle scheinen sie Sun-yeong von dem Weg locken zu wollen, den die Stimme des Fremden ihr durch ein Funkgerät vorgibt. Sein allsehender Blick erinnert an den Gottes, der ihre Auslieferung noch greifbarer macht. Seine Stimme ist zugleich die von Sun-yeongs Unterbewusstem, das sie vor den Gefahren einer Gesellschaft warnt, die selbst im Angesicht der Auslöschung Gier, Egoismus und Brutalität antreiben. Die in der Vernichtung begriffene Menschheit hat ihre Menschlichkeit bereits verloren. Die Straße, die Jo Sung-hees nihilistische Sozialdystopie bis zu ihrem ambivalenten Ende geht, führt in ein existentielles Nichts, das der Unterton bedeutungslos gewordener Spiritualität und Vergebung noch bedrückender macht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/end-of-animal