Fessle mich!

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Wenn es darum geht, brisante Themen der menschlichen Emotionalität innerhalb bizarrer Szenarien mit bewegender Ernsthaftigkeit und zugleich schrägem Humor zu präsentieren, befindet sich der spanische Filmemacher Pedro Almodóvar ganz in seinem Element. Mit einem erstaunlichen Gespür für prekäre Zwischentöne jenseits gängiger Gefühlswelten und dem Hang zu verstörenden Grenzüberschreitungen hat der in Cannes, Venedig, Berlin, Hollywood und Anderswo bereits prämierte Regisseur auch Fessle mich! aus dem Jahre 1989 inszeniert, der bei großer internationaler Beachtung sowie einigen Nominierungen und Auszeichnungen auch kontroverse Diskussionen um seine Darstellung einer pikant-prekären Liebesgeschichte angeregt hat.
Es ist die Sehnsucht nach einem gewöhnlichen Leben mit einer Frau, Kindern und Arbeit, die den jungen Ricky (Antonio Banderas) umtreibt, als er nach längerer Behandlung aus der Psychiatrie entlassen wird – zwar als "geheilt", doch es wäre nicht ein Werk Pedro Almodóvars, wenn diese Diagnose so einfach wäre. Die Frau seines Herzens hat Ricky sich bereits zielstrebig erwählt, aber die Pornodarstellerin Marina Osorio (Victoria Abril), mit welcher er einst eine einzige Nacht verbrachte, erinnert sich nicht einmal mehr an ihn und schlägt ihm prompt die Tür vor der Nase zu. Doch Ricky ist bestens darauf vorbereitet, dass Marina wohl eine Weile der Gewöhnung benötigen wird, um ihn ihrerseits zu lieben, und bringt er sie in seine Gewalt, um sie durch die erzwungene Nähe allmählich zu überzeugen ...

Neben der markanten Geschichte um einen Mann, der seine Angebetete kurzerhand so lange in Gewahrsam zu nehmen beabsichtigt, bis sie ihn erhört, sind es zahlreiche kleine, anregend angedeutete Nebenschauplätze mit kuriosen Charakteren, die dieses tiefgründige Drama bevölkern. Dabei arbeitet Pedro Almodóvar mit der eigenen illustren Phantasie ebenso wie mit jener seines Publikums, und auf diese Weise springen die ausgedehnten Ambivalenzen seiner Figuren, so schrill diese auch erscheinen, ungehindert in die Köpfe der Zuschauer, die sich so mit sonst Dimensionen entfernten Gedanken identifizieren können. Trotz der Skurrilität von Fessle mich! gelingt damit eine Entmystifizierung des Extremen, die wie so häufig bei Pedro Almodóvar dazu inspiriert, auch die Imagination des Abwegigen zu wagen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/fessle-mich