Leben und Tod einer Pornobande (Special Edition)

Porno, Kunst, Snuff und der ganze Scheiß dazwischen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eigentlich will er ja prätentiöse Kunstfilme machen, doch in dieser Zeit (und in diesem Land) steht den Menschen der Sinn weniger nach Erbaulichem als vielmehr nach Handfestem. Marko (Mihajlo Jovanović) hat ein Regiestudium in Belgrad absolviert, doch finanzieren will seine ambitionierten Filme niemand. Was einen ehrlich gesagt bei seinen Ansprüchen und abstrusen Vorstellungen auch nicht wundert – außer ihn selbst natürlich. Dann aber ergibt sich unversehens doch die Möglichkeit, Filme zu drehen und damit sogar Geld zu verdienen, denn Marko trifft Cane (Srdjan Miletić) und der weiß ganz genau, wonach die serbische Gesellschaft giert: Nicht Kunst, sondern Pornos sind das große Geschäft. Und unter den Stümpern, die in diesen billig heruntergekurbelten Streifen vor und hinter der Kamera agieren, ist ein ausgebildeter Filmemacher wie Marko natürlich überaus willkommen.
So ganz will Marko aber nicht von seinen avantgardistischen Ansprüchen lassen, was Cane natürlich überhaupt nicht gut findet – der Konflikt zwischen den beiden eskaliert, so dass Marko bald nur noch die Flucht aus Belgrad bleibt. Gemeinsam mit einigen Außenseitern, die allesamt keine Persepktive mehr sehen – Junkies, ein HIV-infiziertes Schwulenpärchen, eine vollschlanke Schauspielerin, ein Transvestit vom Lande und eine weitere Darstellerin, die eigentlich vom Theater kommt – macht sich Markoa auf zu einer Tour durch Serbien. Markos Anliegen: "Wir werden die Serben sexuell erziehen. Wir werden ihren Horizont erweitern. Das ist unsere Guerilla-Mission."

Die Reaktionen auf die Auftritte des selbst ernannten ersten serbischen Porno-Kabaretts sind gemischt: Zwar strömen die neugierigen Dörfler in Massen zu den derb-dreisten Performances, doch am nächsten Tag siegt die Schein- und Doppelmoral der einfachen Leute, die die Pornobande mit Gewalt aus dem Dorf vertreibt. Allerdings geht die sittliche Empörung nicht weit genug, um Vergewaltigungen und Demütigungen der Eindringlinge zu verhindern. Eine Erfahrung, die sich im Laufe der Reise mehrfach wiederholen wird.

Dann begegnet Marko dem freundlichen älteren Franz (Srboljub Milin), einem Deutschen, der perfekt serbisch spricht und als ehemaliger Kriegsberichterstatter Land und Leute bestens kennt. Der macht ihm einen ungeheuren Vorschlag: Markos Leute sollen vor der Kamera noch ein weiteres Tabu brechen und Menschen umbringen. Denn wie Franz seit den Zeiten der Balkankriege weiß, gibt es in den USA und Westeuropa für solche Snuff-Filme einen kleinen Kreis betuchter Abnehmer. Doch seitdem Frieden herrscht in Ex-Jugoslawien, ist es zunehmend schwieriger geworden, solche Filme zu beschaffen. Bei diesem Versorgungsproblem soll die Pornobande nun Abhilfe schaffen.

Der Filmemacher Mladen Djordjević kennt sich aus mit dem, was er in Leben und Tod einer Pornobande beschreibt. 2005 hat er sich in dem Dokumentarfilm Made in Serbia mit der Pornoindustrie des Landes auseinandergesetzt, wobei diese in seinen Augen aufgrund ihrer Strukturen die Bezeichnung Industrie eigentlich kaum verdient. Zudem gleichen seine Erfahrungen als junger Regisseur in Serbien denen seines Alter ego Marko, nur dass dessen Erlebnisse auf die Spitze getrieben wurden. Überhaupt ist der Film bei aller Drastik zugleich ein beredtes Dokument der serbischen Nachkriegsgesellschaft, die immer noch unter den unaufgearbeiteten Traumata der Konflikte in den 1990ern leidet.

Im Stil einer "mockumentary" allem Anschein nach mit eben jenen kleinen Kameras gedreht, die die Akteure mit sich herumtragen, lässt der Film kaum ein Tabu aus – explizite Sexszenen mit allen möglichen Formen der Paarung inklusive Zoophilie, dazu jede Menge Blut, Gedärme und Körpersekrete, schockartig aufflammende Gewalt, vor allem aber die ausufernden permanenten Demütigungen und die tiefe Abgestumpftheit und Hoffnungslosigkeit der Menschen, zu denen sich manchmal ein grimmiger Humor der allerfinstersten Sorte gesellt. machen den Film zu einer echten Tortur. Dennoch ist Leben und Tod einer Pornobande kein "torture porn" wie Werke aus der überaus erfolgreichen Saw- oder Hostel-Reihe, sondern bleibt stets nahe am Puls der Zeit und der Gesellschaft, die er beschreibt. Sex, Gewalt und Tod sind hier kein Selbstzweck, sondern die Triebfedern einer außer Kontrolle geratenen Gesellschaft, die die Muster von Gewalt und Erniedrigung, von Ausgrenzung und Intoleranz aus dem Krieg mit in den Frieden weitergetragen hat. Wie ein schleichendes Gift haben diese Übel die Gesellschaft untergraben, so dass vielen Menschen der Tod als einziger Ausweg erscheint. Und so ist es letzten Endes nur folgerichtig, dass selbst die Aussteiger solch einer wölfischen Gesellschaft sich diesen Determinismen nicht entziehen können.

Das filmische Koordinatensystem, in dem sich Djordjevic verortet, ist ebenso vielfältig und widersprüchlich wie sein Film, neben den Bezügen aus einschlägigen Filmen aus dem "torture porn"-Spektrum man fühlt sich streckenweise an Lars von Triers Idioten erinnert, zudem sind Einflüsse und Querverweise auf die jugoslawische Schwarze Welle der späten 1960er und frühen 1970er Jahre mit Filmemachern wie Dušan Makavejev unübersehbar. Damals wie heute versuchten Filmemacher den Aufstand gegen den Status quo – und zumindest in der Vergangenheit scheiterten sie damit auf brutale Art und Weise. Zwar besteht Jugoslawien heute als Staatengebilde nicht mehr und die Nachfolgestaaten sind zumindest auf dem Papier demokratisch(er) als damals. Folg man Djordjević aber in seiner Gesellschaftsanalyse, hat sich in den letzten 40 Jahren trotz aller Katastrophen und scheinbaren Fortschritte nur wenig verändert in Serbien. Und das ist – wenn man einmal von all den Grausamkeiten in Leben und Tod einer Pornobande absieht – das eigentlich Schreckliche an diesem unglaublichen, monströsen und schonungslosen Film, der aufrüttelt und niederschmettert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/leben-und-tod-einer-pornobande-special-edition