Brighton Rock (1947)

Die Geschichte des anderen Brighton, das nicht mehr existiert

Eine Filmkritik von Marie Anderson

In der Unterwelt der britischen Küstenstadt Brighton herrscht ein angespanntes Klima der Bandenrivalität um Schutzgelderpressungen, als Fred Hale (Alan Wheatley) für einen Tag dorthin zurückkehrt. Nunmehr unter dem Pseudonym Kolley Kibber als Journalist für den Daily Messenger tätig ist Hale im touristischen Tumult des Seebads unterwegs, um im Rahmen einer PR-Aktion seiner Zeitung Glückskarten in der Stadt zu verstecken, die dem glücklichen Finder zehn Schilling als Prämie bescheren sollen. Doch Hale begibt sich damit auf gefährliches Terrain, denn seine zwielichtigen Kumpanen von einst haben keineswegs vergessen, dass er damals einen verräterischen Artikel über ihre illegalen Machenschaften veröffentlicht hat und beschließen spontan, die Gelegenheit seiner Anwesenheit in Brighton zu nutzen, um sich an Hale zu rächen. Angeführt vom noch jugendlichen, doch eiskalten Bandenchef Pinkie Brown (Richard Attenborough), der Hale für den Tod eines Freundes verantwortlich macht, durchstreifen die Gangster auf der Jagd nach dem Journalisten die Stadt, der in aufsteigender Panik begreift, dass der Tag der Abrechnung für ihn gekommen ist.
Ist Hale zunächst noch bemüht, sich freizukaufen, flüchtet er nach diesem vergeblichen Versuch durch die von Urlaubern überfüllte Stadt, immer darauf bedacht, Bekanntschaften zu machen, um seinen Verfolgern nicht allein zu begegnen. Auf diese Weise gerät er in Kontakt zu dem burschikosen, gutmütigen Showgirl Ida (Hermione Baddeley), die mit ihrer Truppe ein Gastspiel in Brighton gibt und die Angst ihre zufälligen Begleiters spürt. Als Hale im Vergnügungspark auf Ida wartet, die am Strand etwas vergessen hat, sucht er Zuflucht im Schutz der Geisterbahn, doch zu spät bemerkt er, dass Pinkie neben ihm eingestiegen ist, der ihn während der Fahrt in den Abgrund des Meeres stößt. Um sich ein Alibi zu verschaffen und den Eindruck zu erwecken, Hale sei erst später „verunglückt“, wie die offizielle Version lauten wird, lässt Pinkie die restlichen Glückskarten von seiner Bande auslegen. Eine davon findet die schüchterne Kellnerin Rose (Carol Marsh) an ihrem Arbeitsplatz, doch sie ist zu Recht überzeugt davon, dass der Mann, der sie auf dem Tisch hinterlassen hat, nicht Kolley Kibber war. Um diese wichtige Zeugin zu manipulieren, macht sich Pinkie an sie heran, und Rose verliebt sich prompt in den coolen Gangster ...

Brighton Rock aus dem Jahre 1947 nach dem gleichnamigen Roman des britischen Schriftstellers Graham Greene, der auch gemeinsam mit Terence Rattigan das Drehbuch verfasste, ist ein schattenreich-düsterer Film Noir par exellence, der sowohl durch seine kriminalistische Dimension als auch durch seine tragische, fatale "Liebesgeschichte" zu überzeugen weiß. Unter den stringent gezeichneten Charakteren besticht vor allem ein kühl-charmanter Richard Attenborough als 17-jähriger Bandenboss Pinkie, dessen drastische Entwicklung nach dem Mord an Hale eine schauspielerische Glanzleistung darstellt. Der Film, dessen Inszenierung bis ins Detail hinein und bis zum ambivalent-barmherzigen Schluss gleichermaßen packend wie kunstvoll gelungen ist, entstand innerhalb einer Zusammenarbeit der Brüder Boulting, wobei John als Regisseur genannt wird und Roy als Produzent aufgeführt wird.

Im Vorspann zum Film wird der idyllische Badeort Brighton mit der Bemerkung vorgestellt, dass die folgende Geschichte jene eines anderen Brighton sei, eines einstig gefährlich Pflasters, das nicht mehr existiere. Zwei Wochen nach dem Erscheinen der DVD bei Arthaus, die erstmals in Deutschland erhältlich ist, ist das Remake des Stoffes von Rowan Joffe von 2010 mit demselben Titel bei uns in den Kinos zu sehen. Das Spielfilmdebüt des britischen Regisseurs spielt im Brighton der 1960er Jahre, wobei die Dreharbeiten angesichts der fortgeschrittenen Modernisierung allerdings im ursprünglicheren Eastborne stattfanden. Mit Sam Riley, John Hurt, Helen Mirren und Andrea Riseborough ist diese moderne Version von Brighton Rock ebenfalls hervorragend besetzt und durchaus sehenswert düster geraten, auch wenn die Ausgestaltung der Geschichte doch erheblich stärker von der literarischen Vorlage abweicht. Für Fans von Graham Greene sowie eindringlicher Film Noirs ist es zweifellos bereichernd, sich beide Fassungen anzuschauen, und sei es auch nur, um sich wieder einmal von der avantgardistischen Filmkunst der alten Tage zu überzeugen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/brighton-rock-1947