Céleste

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Im vergangenen Sommer erschien mit Mahler auf der Couch der neuste Film von Percy Adlon, den er gemeinsam mit seinem Sohn Felix inszeniert hat. Mit diesem tragikomischen Werk über Liebe, Leiden und die Ambivalenzen der Psychoanalyse hat der mittlerweile 75jährige Filmemacher erneut seine Meisterschaft auf dem Terrain der humoristischen Melancholie unter Beweis gestellt. Dieses Talent zeichnet sich bereits in seinem Spielfilmdebüt Céleste aus dem Jahre 1980 ab, in dem die österreichische Schauspielerin Eva Mattes die Hauptrolle spielt, die in Mahler auf der Couch als Mutter der Komponisten-Gattin Alma Mahler brilliert. Liegen auch dreißig Jahre zwischen diesen beiden Filmen von Percy Adlon, weisen sie doch gleichermaßen die markante Handschrift eines Regisseurs auf, dessen sensibler wie sorgfältiger Umgang mit den Figuren seiner filmischen Geschichten seine wohl herausragendste Qualität darstellt.
Ein Szenario der Stille und des Wartens bildet den Auftakt des geradezu zärtlichen Dramas Céleste, das auf den Memoiren der langjährigen Haushälterin des französischen Romanciers Marcel Proust (1871-1922) beruht: Céleste Albaret, die ihre Erinnerungen an die intensiven Zeiten im Dienste des Autors von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit / À la recherche du temps perdu erst im Jahre 1973 niederschreiben und unter dem Titel Monsieur Proust veröffentlichen ließ, über ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des Schriftstellers. Paris im Jahre 1914: Ursprünglich sollte die junge Céleste (Eva Mattes), die Ehefrau des Chauffeurs Odilon Albaret (Norbert Wartha), lediglich als Aushilfe bei diesem häufigen Fahrgast ihres Mannes einspringen, doch die ebenso feinfühlige wie kluge Frau wird neun Jahre lang im Haus von Marcel Proust (Jürgen Arndt) tätig sein, und zwar als Haushälterin, Gefährtin, Vertraute und schließlich gar Lektorin des kränklichen Romanciers, der im Begriff ist, sein gewaltiges Lebenswerk zu vollenden – bis zu seinem Tod wird Céleste an seiner Seite weilen.

Dabei verrichtet Céleste anfangs tagelang ihren Dienst, ohne den Schriftsteller auch nur zu Gesicht zu bekommen, denn sie hat die strikte Anweisung, nur beim Läuten der Klingel in Erscheinung zu treten und ein Getränk zu servieren, und das auch noch wortlos. So verharrt sie ehrfürchtig wartend in der Küche, in der Stille der Nacht, wacht, nickt ein, schreckt auf und dämmert erneut, bis dann eines Nachts unvermittelt das Signal ertönt und Céleste zu ihrem ersten Einsatz ins Schlafgemach Prousts eilt, der beinahe unentwegt schreibt. Aus den distanzierten, zaghaften ersten Begegnungen entwickelt sich allmählich eine tiefe Verbundenheit zwischen dem zu Depressionen neigenden Romancier und seiner pragmatisch orientierten Haushälterin, deren engagierte Loyalität von mitunter andächtiger Verehrung getragen wird. Und Marcel Proust erwidert Célestes Aufmerksamkeit und Fürsorge mit einer stetig wachsenden Zuneigung, bei steigendem Respekt für den wachen Geist der geradlinigen Frau ...

Mit seinem ersten Spielfilm ist Percy Adlon eine kleine filmische Perle gelungen, die mal heiter, mal wunderbar poetisch den Zauber einer äußerst intimen Beziehung einfängt, die dennoch in scharf gezogenen Grenzen verbleibt und trotz ihrer Intensität ihre verborgenen Geheimnisse letztlich zu wahren versteht. Céleste gibt aus der sehr persönlichen Perspektive der Céleste Albaret einen höchst interessanten privaten Blick auf die späten Jahre des Schriftstellers Marcel Proust frei, der die Eigenheiten seines sensiblen Wesens so unspektakulär wie bedeutsam einfängt. Gleichzeitig erscheint der Film bei Zeiten wie eine verschmitzte Parabel, die über den arg strapazierten Begriff der „Großen Liebe“ kreist, die möglicherweise ein Phänomen darstellt, das in seiner Schlichtheit auch schon mal unbemerkt bleibt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/celeste