Christoph Schlingensief – Deutschland Trilogie (4 DVD-Box)

Der schwere Abschied von einem großartigen Provokateur

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Am 21. August diesen Jahres verstarb das Multitalent Christoph Schlingensief in Berlin an den Folgen seiner Krebserkrankung. Die vor kurzem erschienene Deutschland Trilogie, die in einer aufwändigen 4-DVD-Box durch frühe Kurzfilme des Regisseurs ergänzt wurde, rekapituliert noch einmal die wichtigsten Filme Schlingensiefs und seine bissig-kritische Auseinandersetzung mit seiner Heimat Deutschland.
Der erste der Filme, 100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker (1989), erinnert dabei fatal an spätere cineastischen Aufarbeitungen des Themas und wirkt beinahe wie ein prophetisch-parodistischer Kommentar zu Oliver Hirschbiegels Der Untergang – natürlich mit dem ganz eigenen trashigen Schlingensief-Touch versehen. Als der Zweite Weltkrieg beinahe zu Ende ist, versammelt sich die Nazi-Elite im Führerbunker und vertreibt sich die Zeit bis zum bitteren Ende mit Inzest, und Intrigen und ergibt sich dem Wahnsinn, der aus der engen Behausung eine geschlossene Abteilung für Geisteskranke macht. Statt Adolf Hitler (Udo Kier) in den Tod zu folgen, kürt sich Eva Braun (Brigitte Kausch-Kuhlbrodt) nach dessen Ableben selbst zur Führerin und heiratet Martha Goebbels, die prompt während der Hochzeit ein Kind auf die Welt bringt (Moses wird der Knabe genannt werden) und ebenfalls das Zeitliche segnet. Schließlich sucht die Führerin gemeinsam mit Hermann Göring das Heil in der Flucht, es geht mit einem Schlauchboot über die Spree in Richtung Freiheit...

Nicht weniger provokativ war Schlingensiefs folgender Film Das deutsche Kettensägenmassaker (1990), mit dem er einen ätzenden Kommentar auf die deutsche Wiedervereinigungseuphorie hinrotzte, der sich (wie viele seiner Filme) an bekannten Vorbildern orientierte – hier stand neben Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre auch Alfred Hitchcocks Psycho Pate. Als die ostdeutsche Clara (Karina Fallenstein) nach Westdeutschland kommt, wird sie nicht von jubelnden Landsleuten empfangen, sondern von einer vollkommen durchgeknallten Metzgersfamilie, die den Terminus Wiedervereinigung vor allem körperlich versteht – die "rübergemachten Zonis" werden kurzerhand und auf sehr schauerliche Weise zu Wurst verarbeitet. Die Einverleibung der DDR nach dem Mauerfall wird hier durchaus wörtlich genommen und gerät auf diese Weise zum bitterbösen Kommentar auf die politische Wiedervereinigung.

Der 1992 folgende Terror 2000 – Intensivstation Deutschland bezieht sich einerseits auf die rassistischen Übergriffe in Rostock, Hoyerswerda und Mölln und vermengt diese mit dem Geiseldrama von Gladbeck. Begleitet von einer sensationsgeilen Presseschar und verfolgt von zwei eher tumben Kriminalbeamten foltern und misshandeln zwei flüchtige Gangster in einem Ort namens Rassau Asylanten, während Neonazis und skrupellose Lokalpolitiker versuchen, die Vorkommnisse für ihre Interessen zu nutzen.

Ergänzt wird die Trilogie durch eine weitere DVD, die neben den frühen Kurzfilmen Schlingensiefs ein ausführliches 77-minütiges Interview mit dem Regisseur beinhaltet, das Frieder Schlaich im Jahre 2004 führte. In ihm erfahren wir vieles über den filmischen Werdegang des Filmemachers, der bereits im Alter von sieben Jahren seinen ersten Film drehte und der mit einem Output von einem Film pro Jahr nicht nur der provokanteste, sondern womöglich auch der produktivste Regisseur des deutschen Films war.

Schlingensief sei, so schrieb das Magazin European Photography, "vielleicht der letzte Überlebende, oder besser noch der einzig legitime Erbe der Undergroundfilms." Mit seinem Tod im Sommer bleibt dieser Platz bis auf weiteres unbesetzt. Und es ist derzeit nicht abzusehen, ob sich jemals wieder ein so begnadeter, respektloser, ungeheurer Regisseur finden lässt, der zu ähnlichen Risiken bereit ist. Ohne Christoph Schlingensief ist der deutsche Film auf jeden Fall eines – weniger frech und meistens viel zu brav. Schaut man sich an, welcher Irrsinn derzeit wieder in Deutschland herrscht, von Integrationsdebatten über die Proteste gegen Stuttgart21 und die Castortransporte bis hin zu den unseligen Diskussionen um Hartz4, dann spürt man spätestens, wie dringend der deutsche Film die rotzfrechen Einlassungen eines Christoph Schlingensief nötig hätte.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/christoph-schlingensief-deutschland-trilogie-4-dvd-box