Der Löwe im Winter

Weihnachten mit der Familie

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Dass die traditionelle Zusammenkunft zum Weihnachtsfest bei so mancher Familie zum psychologischen Melodram geraten kann, ist ein allzeits und allerorts zu beobachtendes Phänomen. Der britische Filmemacher Anthony Harvey hat dieses turbulente Szenario in seinem Historienfilm Der Löwe im Winter innerhalb der königlichen Familie Henry II. im Jahre 1183 angesiedelt, der nach dem Theaterstück und Drehbuch von James Goldman entstand. Für diese dynamische Inszenierung des derben Familienstreits um die Thronnachfolge wurde der Film dreifach mit dem Academy Award, zweifach mit dem Golden Globe und dem BAFTA Award sowie mit zahlreichen weiteren Preisen und Nominierungen ausgezeichnet.
Nach dem Tod seines ältesten Sohnes sieht sich der englische König Henry II. (Peter O’Toole) gefordert, unter seinen männlichen Nachkommen Richard (Anthony Hopkins) – später bekannt als „Löwenherz“ –, Geoffrey (John Castle) und John (Nigel Terry) einen neuen Thronfolger zu erwählen, den er mit seiner jungen Geliebten Alais (Jane Merrow) zu vermählen gedenkt, der Schwester des Königs Philip II. von Frankreich (Timothy Dallton). Zu den bereits im Schloss versammelten Protagonisten gesellt sich Henrys verbannte Gattin Eleonore von Aquitanien (Katharine Hepburn), die mit ihrem überschäumenden Temperament fest entschlossen ist, die bereits Jahrzehnte währende Feindschaft zu ihrem Mann angesichts dieses Anlasses erneut aufflammen zu lassen. So entspinnt sich zum Weihnachtsfest ein intrigantes, machtbesessenes Familienspiel um Loyalitäten in den unterschiedlichsten Konstellationen, bei dem alte Zuneigungen ebenso zum Vorschein drängen wie brutaler Hass ...

Es ist zuvorderst das großartig miteinander agierende Ensemble, dass diesen Film zu einem bitter-bösen Vergnügen um Machtkämpfe innerhalb der königlichen Familie geraten lässt. Pointierte, messerscharfe Dialoge, eine stilechte Kulisse sowie die atmosphärische Filmmusik von John Barry, der dafür einen Oscar und einen BAFTA Award erhielt, ergänzen dieses packend konstruierte Drama, dessen komplizierte familiäre Verbindungen eine ganze Truppe von systemischen Therapeuten beschäftigen könnte. Und doch sind es die mitunter – scheinbar – leisen und ambivalenten Töne innerhalb der wuchtigen, pompösen Dramaturgie, die Der Löwe im Winter letztlich als ganz besonderen Film auszeichnen, dessen überraschendes und würdiges Ende wie ein Schelmenstreich anmutet, der zumindest einige der zuvor verteilten Karten noch einmal kräftig mischt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/der-lowe-im-winter