Kanakerbraut (Uwe Schrader Edition)

Von der Verlorenheit der menschlichen Kreatur

Eine Filmkritik von Marie Anderson

In einer elenden Berliner Bruchbude haust der arbeitslose Paul (Peter Franke), der bereits vor einer Weile von Frau und Kind verlassen wurde. Ab und zu ein kleiner Job, ein trister Besuch im Pornokino und auch schon mal bei einer Prostituierten – das sind die freudlos erscheinenden Abwechslungen im Leben dieses abgestürzten Mannes, der ansonsten bevorzugt in einer heruntergekommenen Kneipe abhängt, in der überwiegend stark alkoholisierte Randgestalten zu sentimentalen Songs aus der Musikbox tanzen. Zu dem einschlägigen Stammpublikum, das dort verkehrt, gehört auch die exaltierte Lisa (Brigitte Janner), deren Mann seit Jahren im Sudan als Montagearbeiter unterwegs ist. Nachdem die Beziehung zu ihrem türkischen Freund, die ihr den schäbigen Beinamen „Kanakerbraut“ eingetragen hat, in die Brüche gegangen ist, treibt sich Lisa in der Kneipe herum und versinkt im trinkseligen Strudel kurzlebiger Männerbekanntschaften. Allmählich ereignet sich eine Annäherung zwischen Lisa und Paul, der dieser seine Verzweiflung über die Trennung von seiner Frau und seine Sehnsüchte nach dem zerronnenen, kleinbürgerlichen Leben anvertraut, doch was als zarte, freundschaftliche Anbahnung beginnt, schlägt bei Lisa bald in unverhohlen geäußerte, provokative Verachtung um ...
Das Spielfilmdebüt Kanakerbraut des deutschen Regisseurs Uwe Schrader aus dem Jahre 1983, das den Auftakt zu einer Trilogie mit den Folgefilmen Sierra Leone (1987) und Mau Mau (1992) bildet, die als Uwe Schrader Edition bei Arthaus erscheint, erzählt auf unprätentiöse Weise die schlichte Geschichte eines Mannes im elenden Milieu der gescheiterten Existenzen im urbanen Raum des Deutschlands der 1980er Jahre. Die schonungslose, beinahe zufällig und dokumentarisch anmutende Art, mit welcher Uwe Schrader seinen Protagonisten mit der Handkamera von Klaus Müller-Laue zu Leibe rückt, lässt eine Atmosphäre von bewegender Authentizität entstehen.

Die Hauptfigur des Trinkers Paul, den Peter Franke hier mit unspektakulärer, beeindruckender Überzeugungskraft verkörpert, taugt nicht einmal zum typischen Antihelden, und doch insistiert der verwahrloste Mann darauf, dass sich eines Tages die Dinge für ihn wieder zum Guten wenden werden, mit der dann doch noch heldenhaften Einsicht, dass er selbst es nur aktiv werden müsse. Auch wenn Kanakerbraut mit einer ebenso radikalen wie realistischen Hoffnungslosigkeit daherkommt, erscheinen selbst die krassesten Szenen jenseits der üblichen Schamgrenzen niemals lächerlich, denn es gelingt Uwe Schrader als zeitgenössischem Filmemacher mit kritischem, doch zurückhaltendem Blick in jedem Moment, eine unpathetische, zutiefst humanistische Komponente innerhalb seiner Geschichte zu transportieren – eine Qualität, die nicht nur sein Debüt, sondern auch seine folgenden Filme in höchstem Maße auszeichnet.

Ein weiteres charakteristisches Merkmal von Uwe Schraders Arbeit stellt die Inszenierung an authentischen Orten dar. Da wurde kein künstlicher Kiez erschaffen, sondern die Figuren des Film agieren inmitten eines real existierenden Szenarios, in dessen Umgebung die Dramaturgie implantiert wird. Auf diese Weise bringt der Regisseur seine Charaktere dorthin zurück, wo sie entsprungen sind, was einmal mehr die Dimension des Dokumentarischen stärkt. Der Handlung haftet überwiegend eine beinahe beliebige Behäbigkeit an, als führten die Protagonisten ein Eigenleben, das die Kamera lediglich temporär porträtiert. Diese unsentimentale, das Banale wie das Widerliche nicht scheuende Art der Filmkunst hat sich die avantgardistischen Züge, durch die sie Anfang der 1980er Jahre geprägt war, bis heute erhalten.

Kanakerbraut wurde bei den 37. Internationalen Filmfestspielen von Cannes, beim Toronto Film Festival sowie beim Chicago International Film Festival gezeigt und mit dem Filmband in Gold prämiert – bemerkenswert für einen Low-Budget-Film, der die Hoffnungslosigkeit eines nur allzu gern verdrängten Milieus in dieser drastischen Form abbildet. Was letztlich an dieser Geschichte am nachhaltigsten berührt, sind die kleinen Augenblicke, in denen sich die Sehnsucht der menschlichen Kreatur nach Nähe und Wärme in einer abgetakelten Welt zu erfüllen scheint, auch wenn gewiss ist, dass die Verlorenheit der unfreiwilligen Einsamkeit bereits erneut lauert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/kanakerbraut-uwe-schrader-edition