Rubber

Und er rollt und rollt und rollt...

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

"The difference between fiction and reality? Fiction has to make sense", schrieb der Autor Tom Clancy einmal zutreffend. Geht man allein nach diesem Kriterium, wäre Quentin Dupieux' Film Rubber trotz aller Phantastik wohl eher der Realität als der Fiktion zuzuordnen. Was natürlich auch wieder nicht stimmt und damit letzten Endes zeigt, dass Clancys Satz vor allem gut klingt – mehr nicht. Sehr viel stimmiger ist da schon die Erklärung, die Lieutenant Chad in dem herrlich absurden Prolog zum Film gibt. Die meisten Dinge im Film (und damit auch im wahren Leben) ließen sich, so seine Worte, nachdem er dem Kofferraum eines Wagens entstiegen ist, vor allem auf eine Ursache zurückführen - "reine Willkür". Und so sei auch dieser Film als Hommage an das stärkste Stilelement aller Zeiten – nämlich die reine Willkür seines Schöpfers – zu verstehen.
Solchermaßen angekündigt und jeder vernünftigen Erklärung beraubt startet Rubber als gewitzter und äußerst smarter Film-im-Film, der beinahe ein wenig an diie selbstironischen Erzählerfiguren eines Russ Meyer erinnert: Mittels Ferngläsern und von einem despotischen Buchhaltertypen mit klaren Anweisungen auf Linie gebracht, versammelt sich in einer amerikanischen Wüstenlandschaft eine Gruppe von Menschen, um dem Drama, das sich vor ihren Augen abspielt, sozusagen live beizuwohnen. Echtes Event-Kino also, von dem mancher Kinobetreiber nur träumen kann.

Was sich vor ihren Augen abspielt, ist in der Tat unglaublich. Eben noch lag er achtlos entsorgt in der Wüste, doch dann erwacht Robert zum Leben. Robert ist allerdings kein Mensch wie du und ich, sondern ein quietschfideler Autoreifen, der zudem über telekinetische und mörderische Kräfte verfügt. Und so setzt sich Robert unter den staunenden Augen des Publikums in Bewegung, den er befindet sich auf einem Rachefeldzug. Da ist es besser, dass sich ihm nichts und niemand in den Weg stellt. Und der einzige Mensch, der ihn wirklich aufhalten könnte, eben jener eingangs erwähnte Lieutenant Chad (stephen Spinella) hat mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen – einem Plüschkrokodil...

Dass Rubber so durchgeknallt ist und trotz (oder wegen) seines mutmaßlich schlanken Budgets voller schräger Ideen steckt, liegt vor allem an Quentin Dupieux selbst, der bei Michel Gondry während den Dreharbeiten zu dessen Werk Midi-Minuit das Filmemachen erlernte und als schräges Musikprojekt Mr. Oizo mit dem Hit Flat Beat zu einigem Erfolg kam. In seinen Songs und auch in der Levi's-Werbung, die Mr. Oizo realisierte, trat stets eine Plüschfigur namens "Flat Eric" auf, als deren Fortentwicklung oder augenzwinkernde Reminiszenz man das Plüschkrokodil von Lieutenant Chad sehen kann.

Was den Film bei aller Verwunderung über die abstruse Story so überaus sympathisch macht, ist vor allem die Hauptfigur, die für einen Reifen erstaunlich menschliche Verhaltensweisen an den Tag legt. Trotz seiner Mordlust ist auch Robert, der Reifen im Lichte der milden Wüstensonne betrachtet, eigentlich ein netter Kerl, der so menschlich und knuffig erscheint, wie dies ein mordender Autoreifen nur sein kann. Doch wer mit eigenen "Augen" (haben Reifen eigentlich Augen?) mit ansehen musste, wie die eigene Familie verbrannt wurde, dem sind ein paar Rachegelüste und Mordgedanken sicherlich zuzugestehen. Und weil die Selbstironie jederzeit zu spüren ist, freut man sich besonders über das Ende, das geradezu nach einer Fortsetzung schreit.

Dass Rubber – wie das DVD-Cover stolz verkündet – "der beste Killerreifen-Film, den Sie je gesehen haben" ist, verwundert angesichts der überschaubaren Anzahl der Filme (sie liegt offen gestanden bei NULL) zu diesem Thema kaum. Darüber hinaus ist Rubber herrlich amüsanter Trash, der immer wieder auf die Gemachtheit des Films verweist und so ein smartes Spiel mit dem Medium Film treibt.

Da trifft es sich gut, dass Quentin Dupieux alias Mr. Oizo bereits am nächsten Film arbeitet – Wrong soll im Jahr 2012 in die Kinos kommen und aufgrund des Titels kann man durchaus vermuten, dass auch dies wieder ein Werk der eher abgedrehten Sorte sein wird. Die wenigen Bilder und Informationen versprechen jedenfalls so manches, aber eines auf gar keinen Fall: Konventionelles und massentaugliches Durchschnittskino für Otto Normalkinogeher. Alles andere hätte uns auch gewundert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/rubber