Metropia

Schöne neue Ökowelt

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Was passiert, wenn das Öl zur Neige geht? Bekommen wir dann eine harmonische Gesellschaft mit lauter glücklichen Menschen, die im Einklang mit der Natur leben? Oder führt die schöne neue Ökowelt zu einem diktatorischen Überwachungsstaat? Der schwedische Regisseur Tarik Saleh malt in seinem atmosphärisch dichten Animationsfilm Metropia die zweite Variante aus – "Big Brother" lässt grüßen.
Metropia reiht sich ein in eine Trickfilm-Ästhetik, die ernste Themen mit neuen Mitteln erzählt und in den letzten Jahren einen erfreulichen Aufschwung genommen hat. Persepolis (2007) von Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud etwa kleidet die Diktatur der iranischen Mullahs in einen beeindruckenden Expressionismus. Und Waltz with Bashir (2008) von Ari Folman gewinnt dem Anti-Kriegs-Film frappierende Farbkompositionen ab. Zwar reicht der Film von Tarik Saleh nicht an die dramaturgische Schlüssigkeit der beiden Vorgänger heran. Doch seine visuelle Kraft und sein experimenteller Zugriff machen ihn allemal sehenswert.

Schweden im Jahr 2024: Weil das Öl ausgegangen ist, sind alle Menschen auf das gigantische U-Bahn-System angewiesen, das dem diabolischen Herrscher Ivan Kahn (Stimme: Udo Kier) gehört. Alle Menschen? Nein. Der schmächtige Roger (Stimme: Vincent Gallo) fährt lieber mit dem Rad zur Arbeit, auch wenn er sich bei seinen Kollegen im Callcenter mit diesem subversiven Akt höchst verdächtig macht. Roger ist eigentlich kein rebellischer Typ. Eher ein angepasster Spießer mit rassistisch angehauchtem Verfolgungs- und Eifersuchtswahn. Doch sein Leben bekommt den entscheidenden Kick, als er eines Morgens sein Rad zerstört findet und nun doch die U-Bahn nehmen muss. Dort verstärken sich die sowieso schon quälenden Stimmen in seinem Kopf auf eine merkwürdige Art und Weise. Aber in der U-Bahn trifft er auch auf die ebenso verführerische wie geheimnisvolle Nina (Stimme: Juliette Lewis). Sie scheint als einzige zu wissen, was es mit den Stimmen in Rogers Kopf auf sich hat.

Es ist eine albtraumhafte Welt, in die uns Regisseur Tarik Saleh entführt – merkwürdig schillernd zwischen grauen, heruntergekommenen Stadtlandschaften und Menschen mit übergroßen Köpfen, deren Gesichter besonders in Großaufnahmen plötzlich ganz real erscheinen. Diese einzigartige Optik kommt nicht von ungefähr. Saleh, der sich in seiner Jugend als Graffiti-Künstler einen Namen machte, hat Fotografien von realen Menschen und realen Städten als Vorlagen verwendet, die dann im Computer verfremdet wurden. Das Animationsverfahren beruht auf der Weiterentwicklung eines Bildbearbeitungsprogramms und verschiebt die "natürlichen" Proportionen zwischen Personen und Landschaft. Allein dadurch entsteht eine surreale, aus den Fugen geratene Welt. Eine Stimmung irgendwo zwischen Orwell und Hitchcock.

Tarik Saleh packt einiges an Motiven in diese Verschwörungsgeschichte: Konsumismuskritik, Zukunftsangst, Überwachungsstaat und Apokalypse. Am überzeugendsten ist jedoch die ganz persönliche Entwicklung des schüchtern-verstockten Roger. Der nimmt die Stimmen in seinem Kopf endlich ernst, statt das Phänomen zu verleugnen oder herunterzuspielen. Dadurch beginnt er eine Entdeckungsreise ins Zentrum der Macht – aber vor allem einen Trip ins Innere seiner selbst. Dass er daraus verwandelt hervorgeht, macht Hoffnung, dass es am Ende des Ölzeitalters noch andere Möglichkeiten gibt als die U-Bahn-Diktatur.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/metropia