Merry Christmas Mr. Lawrence

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Ein japanisches Kriegsgefangenenlager auf Java bildet das Szenario für diesen berühmten britisch-japanischen Film aus dem Jahre 1982 von Nagisa Ôshima, dessen Titel den klassischen Weihnachtsgruß in Fankreisen um eine geradezu sprichwörtliche, klingende und unverzichtbare Namenskomponente erweitert hat. Merry Christmas Mr. Lawrence spielt innerhalb einer rauhen, militärischen Männerwelt vor dem hehren Hintergrund von Stolz und Ehre, wobei diese pathetischen wie vagen Begrifflichkeiten im Lichte unterschiedlicher kultureller Kontexte betrachtet werden. Im intensiven Beziehungsgeflecht der markanten Hauptfiguren – absolut sehenswert vom extravaganten Musiker und Künstler David Bowie (Jack Celliers), dem japanischen Komponisten Ryūichi Sakamoto (Captain Yonoi), dem schottischen Schauspieler und Autor Tom Conti (John Lawrence) sowie dem originären japanischen Filmemacher Takeshi Kitano (Gengo Hara) verkörpert – liegt die Spannung dieser Geschichte, die auf den Erinnerungen des britisch-südafrikanischen Journalisten Laurens van Post beruht, der während des Zweiten Weltkriegs vier Jahre in japanischer Gefangenschaft verbrachte.
Im abgelegenen Dschungel von Java führt der Samurai und Captain Yonoi im Jahre 1942 mit strenger Hand ein Gefangenenlager, in dem der britische Colonel John Lawrence die Funktion eines Vermittlers zwischen den Häftlingen und den japanischen Militärs ausübt. Zwischen Lawrence und dem Sergant Gengo Hara besteht sogar so etwas wie eine den feindlichen Umständen entsprechende, streitbare Männerfreundschaft, und auch Captain Yonoi schätzt offensichtlich die sanften Interventionen des gebildeten Briten. Als mit dem aus Neuseeland stammenden Major Jack Cellliers, den Lawrence von früher kennt, ein ungezähmter und stolzer Geist ins Lager kommt, beginnen die ohnehin aufgeheizten Emotionen mächtig zu kochen, denn Captain Yonoi fühlt sich zwar widerstrebend, jedoch ebenso heftig von dem eigenwilligen Mann angezogen, der die Ordnung des Lagerlebens mit seinem coolen Charme gehörig ins Wanken bringt ...

Bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes im Rennen um die Goldene Palme 1983 uraufgeführt gewann Merry Christmas Mr. Lawrence neben anderen Preisen einen BAFTA Award für die Beste Filmmusik von Ryūichi Sakamoto, der hier als liebestrunkener Captain Yonoi brilliert. In der Tat stellen diese eingängigen, heiter-melancholischen Klänge dieses Komponisten (Der letzte Kaiser / The Last Emperor, Die Geschichte der Dienerin, Tony Takitani, Seide / Silk) einen atmosphärisch ganz zauberhaft-zynisch wirkenden Aspekt dieses Films dar, dessen Stimmung von tragischer Dramatik und warmem Humor geprägt ist. Auch wenn die Dramaturgie mit brutalen wie befremdlich erscheinenden Wendungen nicht immer die Stimmigkeit der inneren und äußeren Befindlichkeiten der Protagonisten zu erzeugen vermag, sind es die packenden, gefühlsgeladenen Szenen und Bilder von magischer Eindruckskraft, die Merry Christmas Mr. Lawrence zu einem seltsam berührenden Drama werden lassen. Allen voran David Bowie vermag seinen schillernden Charakter grandios zu inszenieren, wenn er den hungernden Soldaten Blumen als Speise reicht, den daraufhin kollabierenden Captain Yonoi küsst oder bis auf den Kopf im Sand eingebuddelt zur Metapher der schwelenden Unbeweglichkeit erstarrt.

Wenn am Schluss Takeshi Kitano als Sergant Hara, der sich nach Kriegsende ebenso wie Captain Yonoi selbst vor dem Gericht verantworten muss, sein strahlendes „Merry Christmas, Merry Christmas Mr. Lawrence“ intoniert, liegt in diesem Lächeln des Todeskandidaten die heitere Schwermut einer unbestechlichen Zuneigung, die über kulturelle und soziale Hindernisse hinaus Bestand hat. Wenn der sich selbst kasteiende Captain Yonoi dem sterbenden Major Celliers eine Haarsträhne raubt, offenbart sich die unerfüllbare Sehnsucht des Samurai nach menschlicher Nähe und Liebe mit wunderbarer Wucht. Das ist großes Kino der Leidenschaften, das berührt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/merry-christmas-mr-lawrence