Charles Dickens’ Nicholas Nickleby

Ein englischer Nostalgiker

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Nähert sich die Weihnachtszeit, sind es immer wieder einmal die Werke des großartigen englischen Schriftstellers Charles Dickens (1812-1870), die in den Fokus rücken, nicht zuletzt deshalb, weil dieser sozialkritische wie nostalgisch-schelmische Autor mit A Christmas Carol eine der international berühmtesten Geschichten zu diesem christlichen Fest verfasste. Es sind die Randgestalten der Gesellschaft, über die Charles Dickens seine einfühlsamen Erzählungen schrieb, und diese Thematik war ihm nur allzu gut vertraut, denn er selbst wuchs in Armut auf und hat am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, bereits als Kind für kargen Lohn arbeiten zu müssen. Der Schwarzweißfilm Charles Dickens’ Nicholas Nickleby aus dem Jahre 1947 von Alberto Cavalcanti nach dem Roman The Life and Adventures of Nicholas Nickleby erzählt die Geschichte einer in existentielle Not geratenen Familie, die vergebens auf die Hilfe ihres reichen Onkels baut.
Nach dem ruinösen Tod ihres Mannes verarmt und heimatlos kommt die Witwe Mrs. Nickleby (Mary Merrall) mit ihren erwachsenen Kindern Kate (Sally Ann Howes) und Nicholas (Derek Bond) nach London, wo sie auf die Unterstützung ihres Schwagers Ralph Nickleby (Cedric Hardwicke) hofft. Doch der wohlhabende und einflussreiche Ralph, der sich als skrupelloser Geldverleiher betätigt, organisiert lediglich schlecht bezahlte Jobs für seine Verwandten, nicht ohne gleich auch persönliche Vorteile aus diesen Arrangements zu ziehen. Während Kate sich als Schneiderin verdingen muss, nimmt Nicholas weit entfernt der Stadt bei dem berechnenden wie brutalen Wackford Squeers (Alfred Drayton) eine Stelle als Hilfslehrer an. In der vermeintlichen Schule werden die Zöglinge bei übelster Verpflegung allerdings nur ausgebeutet und geschlagen, vor allem der ehemalige Schüler Smike (Aubrey Woods), der vergeblich seinen Vater sucht von den Squeers wie ein Sklave gehalten wird.

Eines Tages, als die Gewalttätigkeit Squeers’ wieder einmal ausufert, platzt Nicholas der Kragen, und er verprügelt nun seinerseits kräftig den selbstherrlichen Schulleiter, zum Vergnügen der verhärmten Zöglinge. Daraufhin verlässt er gemeinsam mit dem verschüchterten Smike den unseligen Ort, um sich eine andere Arbeit zu suchen. Nicholas und Smike geraten unterwegs nach London an das Theater des enhusiastischen, gutmütigen Vincent Crummles (Stanley Holloway), der sie vom Fleck weg engagiert, und es beginnt für die beiden eine geborgene und erfolgreiche Zeit als Schauspieler innerhalb eines illustren, freundlichen Ensembles. Doch dann erreicht Nicholas die Nachricht aus London, dass seine Schwester von Ralph ganz fürchterlich bedrängt wird, so dass der alarmierte Bruder Smike zunächst beim Theater zurücklässt und sich schleunigst auf den Weg macht, um seinem Onkel die Stirn zu bieten ...

Mit Spannung und nicht ohne Witz erzählt Charles Dickens’ Nicholas Nickleby in ein ansprechendes Szenario aus nostalgischen Details und stimmungsvolle Musik eingebettet vom wechselhaften Schicksal des aufrechten jungen Mannes und seiner Familie, die letztlich über ihren geizigen Widersacher von übelstem Charakter triumphiert. Die Geschichte des elendigen Smike, dessen Identität nach einigen Andeutungen erst am Ende des Films aufgelöst wird, bildet ein herzergreifendes Element der Dramaturgie, die sich insgesamt an den klassischen Mustern von Gut und Böse orientiert und dabei doch stets sehr abwechslungsreich gestaltet. Im Grunde stellt Charles Dickens’ Nicholas Nickleby ein anregendes Märchen mit einem dazugehörigen wohligen Ende dar, das sich allerdings in authentischer Dickens-Manier nicht scheut, kräftige sozialkritische Töne anklingen zu lassen, die aber doch in positiver Weise durch kleine Schelmensiege der Armen und Unterdrückten entschärft werden – ein altmodisches, bezauberndes Stück gerade für ein junges Publikum, das jenseits des lärmendes Klamauks heutiger Kinderfilme durchaus auch erwachsene Zuschauer zu unterhalten vermag.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/charles-dickens-nicholas-nickleby