Moloch

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Da bewegt sich eine Frau leicht bekleidet in den Gängen und Räumen einer düsteren Festung, tanzt und turnt spielerisch und müßig umher, scheinbar völlig allein, bis sie neckisch auf der Mauer vor einem Beobachtungsposten posiert. Auf diese Weise wird der Charakter der Eva Braun (Elena Rufanowa) eingeführt, der den eigentlichen Mittelpunkt innerhalb dieses künstlerisch angelegten Films über Adolf Hitler (Leonid Mosgowoi) bildet. Moloch ereignet sich in der seltsamen und dichten Atmosphäre eines Tages im Frühjahr 1942, den Hitler gemeinsam mit Eva Braun, Josef (Leonid Sokol) und Magda Goebbels (Elena Spiridonowa) sowie Martin Bormann (Wladimir Bogdanow) in seinem abgeschotteten Feriendomizil auf dem Obersalzberg in Bayern verbringt. Damit ist die Handlung auch bereits umrissen, denn der russische Regisseur Aleksandr Sokurov setzt weniger auf signifikante Geschehnisse als vielmehr auf die Intensität von Stimmungen und Interaktionen der Protagonisten, die einem Bühnenstück gleich inszeniert sind. Durch die Präsenz der sehr unabhängig dargestellten Frauenfigur der Eva Braun hindurch werden Aspekte der Person Adolf Hitlers transportiert und geradezu experimentell ausgelotet, die geschickt an der Grenze zur Überzeichnung balancieren.
Da liegt Adolf Hitler nach dem Bad nackig im Bett und verkriecht sich unter der Decke, jämmerlich und unwillig, sich für das bevorstehende Abendessen mit dem Ehepaar Goebbels und Martin Bormann anzukleiden. Eva Braun umgibt ihn verführerisch, doch anscheinend ist sie mit derartigen Situationen vertraut und schaltet auf Trost, leisen Spott und Motivation um. Es wird diniert, und auch wenn politische Themen keinen Eingang in diese Festung halten sollen, sind Politik und Historie allgegenwärtig. Am nächsten Morgen unternimmt die schräge Gesellschaft einen Ausflug in die Umgebung, belebt durch die Natur und Landschaft, ausgelassen und dabei verzappelt wie traumatisierte Puppen, wobei die Figur Hitlers dazu tendiert, in pompöse Ernsthaftigkeit umzuschlagen. Da vermischen sich Albernheiten mit pathologisch Anmutendem, Banalitäten mit Grausigkeiten, und es entsteht eine kuriose Art von kunstvollem Anti-Porträt.

Moloch, der auf dem Filmfestival in Cannes uraufgeführt und für das Beste Drehbuch ausgezeichnet wurde, stützt sich in seiner skurrilen Annäherung an einen der schrecklichsten Verbrecher der Weltgeschichte auf die Erinnerungen des Architekten Albert Speers und Henry Pickers, der einige Tischgespräche auf dem Obersalzberg protokollierte. Einen angenehmen und leicht zugänglichen Film hat Aleksandr Sokurov damit nicht in Szene gesetzt, der im Interview berichtet, dass sich dieser Stoff ihm schlichtweg allmählich aufdrängte, bis er ihn einfach realisieren musste. Der Titel dieser Groteske wird als Name einer Gottheit erklärt, der Kinderopfer angeboten wurden, doch diese Information sowie weitere für ein umfassendes Verständnis unerlässlichen Erläuterungen gehen aus dem Film selbst nicht hervor, sind aber im höchst aufschlussreichen Begleitmaterial zu finden. Moloch setzt ganz stark auf Verfremdungen und Verzerrungen, um einen hypothetischen Blick in eine wenig bekannte, heimliche Welt von Persönlichkeitsstrukturen dieser Nazi-Schergen zu werfen, der motivisch eine schräge Perspektive auf die historischen Personen eröffnet, die deutlich entmythologisierend bis karikierend wirkt.

Der russische Filmemacher weiß um die gewaltige Schwierigkeit der Akzeptanz seines ungewöhnlichen Blickwinkels, der Kunst und Kreativität in die Nähe von menschlichen Bestien rückt, einer provokanten Zumutung gleich. Dennoch stellt sich insgesamt die Frage nach der Aussagekraft eines solchen Themas, das in derart artifizieller Weise inszeniert wird, auch wenn der Regisseur seine Motivation als Erfüllung des moralischen Kriteriums der Verantwortung beschreibt. Doch Aleksandr Sokurov gibt diese Antwort lakonisch in dem äußerst anregenden Interview, das bei den Extras zu finden ist: Die Zuschauer, die außerhalb des Films existieren, denken zu Unrecht, dass ein Film immer fürs Publikum gedreht wird.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/moloch