Das Geheimnis

Abendmahl: Spaghetti mit Butter und Käse

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Dieser kleine, harmlos-schräge Film von 1994 handelt von nichts Geringerem als dem Geheimnis des Universums, wie auch der letztlich kürzer geratene Titel ursprünglich lauten sollte. Das Geheimnis erzählt die unspektakuläre Geschichte einer Handvoll nicht mehr ganz junger Erwachsener, die sich miteinander anfreunden und schließlich Paare bilden, bis eine seltsame Begebenheit die Gruppe noch enger zusammenschweißt.

Die lebenslustige Journalistin Lydia (Adriana Altaras) ist eine Frau der raschen, eigenmächtigen Entscheidungen: Als ihr Freund, der Schriftsteller Karlheinz (Wolfgang Böhmer), sich aus seinem vierwöchigen Schreiburlaub in Spanien so gar nicht meldet und diesen auch noch ausdehnt, hat sie bei seiner Rückkehr kurzerhand die Schlösser der gemeinsamen Wohnung ausgewechselt und seine Habe in Kisten verpackt. Lydias Kollegin Sarah (Idil Üner) hat derweil seine Räumlichkeiten übernommen, und Karlheinz hat Glück, dass er überhaupt vorübergehend auf dem Sofa nächtigen darf. Zu der Party allerdings, zu der die beiden Frauen am Abend seiner Ankunft gehen, darf er nicht mitkommen, sondern muss ertragen, dass Lydia in der Nacht auch noch ihre neue Bekanntschaft Walter (Johannes Herrschmann) – genannt Vogelweide – mit nach Hause und ins Bett nimmt.

Der Morgen am Frühstückstisch gestaltet sich zunächst recht verhalten, doch dann kann Lydia die Runde dazu bewegen, gemeinsam Vogelweides geschiedene Frau Anita (Christiane Radlach) zu besuchen, die sie ebenfalls auf der Party kennen lernte und die als Aussteigerin auf einem abgelegenen Bauernhof lebt. So verlässt das Quartett recht gut gelaunt Berlin und fährt aufs Land, wo sich die der Einsamkeit überdrüssige Anita dann auch sehr über den überraschenden Besuch freut. Es wird für alle ein schöner Tag, und da das Auto prompt den Dienst verweigert, auch noch eine ebensolche Nacht. Am Morgen, als der Wagen wieder startklar ist, entscheiden sich Anita und Lydia spontan dafür, für eine Weile die Wohnstätten zu tauschen. Während Lydia auf dem Hof in der weiten Natur zurückbleibt, fährt Anita mit den Anderen nach Berlin.

Als Lydia sich nach einem entspannten, geruhsamen Tag mit den Tieren des kleinen Anwesens am Abend Spaghettis kocht, klopft es an der Tür, und von diesem Augenblick an setzt die skurrile Komponente des Films ein, der bis dahin nicht gerade überwältigend vor sich hin plätscherte, denn draußen steht ein düster-charismatischer Mann (Marquard Bohm), der ein riesiges Holzkreuz auf der Schulter trägt und offensichtlich Einlass begehrt, um der zunächst befremdeten Frau das Geheimnis des Universums zu verkünden ...

Der Filmemacher Rudolf Thome, der überwiegend auch die Drehbücher zu seinen Filmen (mit) verfasst, diese auch gern selbst produziert sowie auch häufig eine kleine Rolle darin übernimmt, ist ein Experte für Beziehungsgeschichten rund um Berlin. Das Geheimnis von 1994 entwickelt sich nach einem recht banalen Szenario von Frau-Mann-Konstellationen zu einem augenzwinkernden, mystisch-religiösen Gleichnis, dessen milde Brüche und zarte Inkonsistenzen ungeheuer symphatisch wirken und die Geschichte vor potentiellen Peinlichkeiten bewahren. So heißt die jüdische Hauptfigur Lydia und nicht etwa Maria, und es ist dieser unstete Charakter, dem der Mann mit dem Kreuz erscheint, und nicht etwa jener der ungleich sanfteren Sarah. Und der undurchsichtige Fremde, geradezu unschlagbar von Marquard Bohm verkörpert, teilt nicht etwa symbolisch überfrachtet Brot aus, sondern Spaghetti, die mit Butter und Käse verzehrt werden – eine einfache Speise, die anfangs vom Regisseur ebenfalls als Titel in Betracht gezogen wurde.

Aus den finalen Wendungen der Geschichte ergibt sich eine Entwicklung, die durchaus symbolisch für eine Familien- oder Bündnisbildung der modernen Art stehen und damit als Plädoyer für eine gesellschaftliche Öffnung zu den gegebenen sozialen Tendenzen gedeutet werden könnte, die dort entstehen, wo das Phänomen der verschworenen Sippe ausstirbt. Doch möglicherweise stellt Das Geheimnis auch schlicht eine unbeschwerte kleine Spielerei dar, die den humorigen Einfällen ihres Schöpfers folgt und den Zuschauer mit Vergnügen ein wenig ratlos zurücklässt.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/das-geheimnis