Skin – Hass war sein Ausweg

Von der Macht und Ohnmacht einer belasteten Symbolik

Eine Filmkritik von Marie Anderson

So reißerisch und kategorisch, wie der deutsche Zusatztitel der DVD klingt, gestaltet sich dieser niederländische Film des Regisseurs Hanro Smitsman, der damit sein Spielfilmdebüt vorlegt, keineswegs. Skin – Hass war sein Ausweg stellt vielmehr eine ungeheuer sorgfältig und tiefgründig ambivalent inszenierte Geschichte dar, die den nur scheinbaren Eindeutigkeiten von Gut und Böse die Dynamik einer vielschichtigen Entwicklung entgegensetzt.

Von Anfang an besteht kein Zweifel daran, dass der Lebensweg des Jugendlichen Frankie Epstein (Robert de Hoog) erst einmal in den Knast führt, denn mit seiner Ankunft im Gefängnis beginnt die Handlung, die in einem zweiten Strang die Ereignisse konstruiert, die zur Inhaftierung des verschlossen wirkenden Jungen geführt haben, dessen kahler Schädel ihn in Kombination mit seiner Hakenkreuztätowierung auf der Brust sichtbar als bekennenden Neonazi ausweist. In diesem optischen Aspekt, der allzu leicht dazu verführt, diese Figur rasch zu kategorisieren und zu verurteilen, zeigt sich bereits das klug installierte Netzwerk der Augenscheinlichkeiten und Bezüge innerhalb der Dramaturgie, das sich erst allmählich entfaltet und einige Kniffe bereithält. Denn das drastische äußere Erscheinungsbild Frankies ist nicht etwa der Ausdruck einer ideologischen Haltung, sondern das Ergebnis ganz bestimmter persönlicher und situativer Wendungen, deren Konsequenzen ihm so wenig bewusst wie fatal sind ...

Als Sohn eines jüdischen Vaters – Simon (John Buijsman), der seine schrecklichen Zeiten in einem Konzentrationslager nur mühsam und traumatisiert überlebte – und seiner christlichen Mutter Anna (Sylvia Poorta) erlebt Frankie gerade gegen Ende der 1970er Jahre seine Jugend in Holland, die vom üblichen Aufbegehren gegen die Werte der Elterngeneration geprägt ist. Dabei konzentriert sich der Unmut des Heranwachsenden ganz auf den häufig abwesend wirkenden, vergesslichen Vater, mit dem er gemeinsam in dem kleinen Familienbetrieb, einem Wäschereiservice, arbeitet, während er zur Mutter ein gutes, warmes Verhältnis hat. Als großer Fan von Independent Music Richtung Ska, Punk und Skin hängt Frankie mit seiner ethnisch wie stilistisch bunten Clique herum, feiert auf entsprechenden Konzerten und gibt sich dem einen oder anderen Rausch hin, vor allem mit Cannabis, das sein bester Freund Jeffrey (Juliann Ubbergen) neben anderem Stoff vertickt. Bei diesem Sohn einer farbigen Einwandererfamilie, dessen Mutter einen Friseursalon betreibt, ist Frankie ein gern gesehener Gast, und ansonsten ist es noch der Taxifahrer Henk (Juda Goslinga), ein Freund oder Verwandter, bei dem Frankie gerade bei Konflikten mit seinem Vater viel Verständnis findet.

In der jugendlichen Szene der Nachbarschaft und Konzerte macht zunehmend eine kleine Gruppe rechts orientierter Nazi-Skinheads unangenehm auf sich aufmerksam, mit der auch Frankie und seine Freunde schon einmal zusammenrasseln, was sich anfangs noch als recht harmlos ausnimmt. Dann ereignet sich in der Familie Epstein eine Katastrophe: Anna erkrankt an Krebs, und die Chemotherapie schlägt kaum an. Frankie hat Angst um seine nunmehr kahlköpfige Mutter und lässt sich solidarisch von Jeffreys Mama den Schädel rasieren, was nach außen hin wie eine Radikalisierung erscheint. Die ohnehin ungünstige Beziehung zwischen Simon und seinem Sohn eskaliert, und als Anna bald darauf verstirbt, herrscht nur noch Streit und Frankie entfernt sich völlig von seinem Vater, der sich gleichfalls konsequent unnachgiebig zeigt, und selbst Henk kann hier kaum mehr vermitteln.

Als die rechten Skins, die dann doch langsam Zulauf haben, eines Tages Jeffreys Mutter auf der Straße anpöbeln, ist auch Frankie dabei, der die Attacke rasch als Scherz kostümieren will. Doch dieser Eklat führt zum abrupten Bruch mit Jeffreys Familie, und seine zunehmend wahllose Haltung katapultiert Frankie ins Abseits, wo die Rechtsradikalen warten, bei denen er nicht zuletzt auf Grund seiner wachsenden Neigung, kräftig zuzuschlagen, nur allzu willkommen ist. Während einer tätlichen Auseinandersetzung mit einer verfeindeten Gruppe ist es dann schließlich Frankies Klinge, die im Leib eines Jungen landet ...

Mit Skin ist Hanro Smitsman, der vor allem durch seinen mehrfach prämierten Kurzfilm Raak (2006) von sich reden machte, ein ganz außergewöhnlich direkter und bewegender Film gelungen, dessen Symbolik der verpassten Chancen, schicksalhaften Wendungen und kraftvollen dramaturgischen Referenzen es dem Zuschauer nicht leicht macht, sich zu positionieren, was sicherlich seine herausragendste Qualität darstellt. Die Empfehlung, diesen Film europäischen Jugendlichen möglicherweise im Rahmen des Unterrichts zugänglich zu machen, soll diesen keinesfalls etwa vorrangig als Jugendfilm einstufen, sondern lediglich seine hohe Relevanz als ungefälliges Lehrstück betonen, das eine eindeutige, beruhigende Haltung einer filigranen Komplexität opfert, die den gesellschaftlichen Verhältnissen sicherlich stärker entspricht als allgemein angenommen.

Und am Ende, als es den Anschein hat, dass alles unwiderbringlich schlecht gelaufen ist, wagt es Skin, Entwicklungen anzudeuten, die trotz aller Desolationen minimale Aspekte der Hoffnung aufweisen, die dann allerdings abermals perturbiert wird – eine grandios inszenierte, drastische Geschichte, die es vermag, festgefahrene Muster anzugreifen und dabei zu riskieren, durch den transzendierenden Gebrauch herkömmlicher, vielleicht bereits überkommener pseudo-typischer Zeichen die vermeintlich offensichtlichen Symbole radikaler Gruppierungen zu entmythologisieren. Die Provokation liegt auf der Hand, doch nur so lange ein bestimmtes optisches Merkmal an die Hoheit einer bestimmten Einstellung gebunden ist, kann sich seine beängstigend-bedrohliche Macht uneingeschränkt erhalten, so könnte die Botschaft lauten. Absolut sehenswert!
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/skin-hass-war-sein-ausweg