Auf Wiedersehen Amerika

Migration, Integration und die Tradition der Improvisation

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Selten, doch immer wieder einmal gibt es Filme, bei denen bereits rasch ganz zu Anfang klar ist, dass man sie einfach mag und sie mit korruptem Wohlwollen ebenso wie mit gehobenen Erwartungen und einigem Vergnügen zelebrieren wird. Solch eine verschwörerische Verbindung zum Zuschauer kann durch die unterschiedlichsten Aspekte entstehen, doch häufig sind es die Protagonisten, die mit ihrem Spiel einen derart anziehenden Charme erzeugen und gleich zu Beginn zu faszinieren vermögen. So auch bei der deutsch-polnischen Koproduktion Auf Wiedersehen Amerika / Do widzenia, Ameryko von Jan Schütte, dessen spektakuläres Ensemble ungefällige Figuren verkörpert, die cool, verschlagen, schlicht, melancholisch, liebevoll und vieles mehr sind und mit diesem Facettenreichtum das Publikum erobern.
Moshe (Jakov Bodo) und Genovefa (Zofia Merle) Lustgarten, ein älteres europäisches Migrantenpaar, lebt seit einer halben Ewigkeit in Brooklyn, als sie planen, eine Schiffsreise nach Polen zu unternehmen, damit Genovefa Weihnachten in dem kleinen Dorf verbringen kann, in dem sie aufgewachsen ist. Derweil soll Moshes bester Kumpel Isaak Aufrichtig (Otto Tausig), der aus Wien stammt und wie er Jude ist, aber lieber zu Hause bleiben will, sich um die Katze der resoluten Frau kümmern, die ihn unzimperlich in seine Aufgaben einweist. Doch sowohl Moshe als auch Isaak sind mitunter in leicht zwielichtige Kummeleien involviert, und als es für den zurückbleibenden Freund unvermittelt brenzlig wird, findet er sich doch noch auf dem Schiff nach Europa wieder und verkündet den Entschluss, mit keinem Blick hinzusehen, wenn Deutschland passiert wird. Auf der Überfahrt machen sie die Bekanntschaft zweier schräger Brüder, die mit dem Leichnam ihres Vaters im Gepäck nach Polen reisen, um diesen seinem Wunsch gemäß in Heimaterde beizusetzen, und das wird nicht die letzte Begegnung sein.

Doch das Schiff erleidet vor dem Ziel einen Motorschaden, und nun muss das unfreiwillige Dreiergespann ausgerechnet von Berlin aus auf dem Landweg weiter reisen, was Moshe und Genovefa als Unannehmlichkeit betrachten, Isaak jedoch in eine Krise stürzt, will er dieses Land doch unbedingt meiden. Eine Wahl bleibt ihm allerdings nicht, und er liebäugelt zudem mit der Vorstellung, in Polen dem weiblichen Geschlecht wieder einmal näher zu kommen. So nimmt der Verlauf der Reise eine unerwartete Wendung, die den weiteren Lebensweg der alten, umtriebigen und munteren Herrschaften auf ganz entscheidende Weise verändern wird.

Mit kraftvollen, pointierten und schelmischen Bildern, von denen etliche abgefahrene Postkartenmotive absorbiert werden könnten, komischen wie knappen Dialogen, der hervorragenden Schauspielertruppe und skurrilen Details inszeniert – wie beispielsweise einem imposanten Gastauftritt von George Tabori – stellt Auf Wiedersehen Amerika ein filmisches Schätzchen dar, dessen Szenario auch über das pfiffige Ende hinaus zu bestehen scheint, so überzeugend entstehen die Charaktere und so lebendig ereignet sich die Dramaturgie, die auch mit kleinen Einfällen und cineastischen Anspielungen wie Genovefas Handtasche nicht nur farbliche Akzente setzt.

Auf Wiedersehen Amerika ist ein bezaubernder, witziger Film mit präzisem, ironischem Blick auf kulturelle Ausprägungen im Migrantenmilieu, deren treffende, lebensorientierte Selbstverständlichkeit einen erfrischenden, entspannten Gegensatz zu den oftmals polemisierten aktuellen Debatten um Integration in Deutschland entwirft, obwohl der Film von 1993 stammt, der im Jahre darauf mit dem Filmband in Silber ausgezeichnet wurde und 1995 den Bayerischen Filmpreis für das Beste Drehbuch gewann, das Regisseur Jan Schütte gemeinsam mit Thomas Strittmatter geschrieben hat. Trotz des beinahe permanent präsenten, filigranen Humors findet implizit eine Betrachtung sehr ernsthafter Themen statt, und auch hierbei wird erneut deutlich, wie authentisch die Geschichte sich gestaltet und wie außergewöhnlich stimmig es gelingt, die Balance zwischen Emotion und Sentimentalität, Darstellung und Überzeichnung sowie Humor und Zynismus in würdiger, berührender Form zu erzeugen – wichtige Qualitäten einer wahrhaft guten Komödie. Seid gesund!

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/auf-wiedersehen-amerika