Fontane Effi Briest

Fassbinder-Variationen auf einen Klassiker

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Eine Literaturverfilmung, bei welcher der kultische, allzu jung verstorbene deutsche Filmemacher Rainer Werner Fassbinder Regie führte, das Drehbuch verfasste und den Film auch produzierte, repräsentiert unweigerlich seine prägnante Arbeitsweise. So schuf der ungeheuer produktive Künstler, der neben seiner Autorenschaft bei zahlreichen Theaterstücken und Filmskripten in seinem 37jährigen Leben über vierzig Filme realisierte, auch nach dem Roman Effie Briest von Theodor Fontane vom Ende des 19. Jahrhunderts eine ganz individuelle filmische Interpretation aus dem Jahre 1974, die der tragischen Frauenfigur eine um einiges größere Verantwortung am eigenen Schicksal zuweist als dies innerhalb der bekannten literarischen Vorlage geschieht, die sich noch immer als Unterrichtslektüre an Schulen hierzulande großer Beliebtheit erfreut – zumindest innerhalb des Curriculums.
Die 17jährige, unbedarfte Effi von Briest (Hanna Schygulla) wird von ihren Eltern (Lilo Pempeit und Herbert Steinmetz) für eine gute Partie mit dem zwanzig Jahre älteren Baron Geert von Innstetten (Wolfgang Schenck) vorgesehen, und die sanfte junge Frau stimmt dieser konventionellen ehelichen Verbindung auch rasch zu. Doch der kühl geführte Haushalt ihres Mannes in einem kleinen Küstenort mit seinen unheimlichen, nächtlichen Geräuschen beängstigt die frische Gattin zunächst, die sich in ihrem neuen Umfeld nur schwer heimisch fühlt, trotz der durchaus zugeneigten Bemühungen Geerts, ihr Leben angenehm zu gestalten, die allerdings oftmals einen eher erzieherischen Charakter aufweisen. Kein Jahr später gebiert Effi die Tochter Annie, die sie der Kinderfrau Roswitha (Ursula Strätz) anvertraut, nachdem sie diese als Trauernde auf dem örtlichen Friedhof kennen lernt und als ihre eigene, unabhängige Wahl in den Haushalt aufnimmt.

Im Rahmen der häufigen beruflichen Abwesenheiten des Barons freundet sich Effi mit der Zeit näher als beabsichtigt mit Major Crampas (Ulli Lommel) an, einem Freund Geerts, der diesem jedoch zunehmend misstraut. Doch als von Innstetten nach Berlin ins Ministerium berufen wird, endet durch die nun entstandene räumliche Distanz mit dem Umzug nach Berlin auch diese geheime Verbindung, die Effi damit konsequent abschließt. In der Großstadt erwartet die kleine Familie und ihr Personal ein ganz anderes, offeneres Leben, das vor allem Effi als bereichernd empfindet, doch schließlich bahnt sich eine Katastrophe an, als Geert auf die Briefe recht brisanten Inhalts stößt – seltsamerweise aus der Hand der Effi so treu ergebenen Roswitha –, die Major Crampas vor Jahren an seine Frau schrieb, als die beiden noch in einem innigen Verhältnis zueinander standen ...

Die Haltung, die Rainer Werner Fassbinder zur tristen Geschichte der Effi Briest einnimmt, drückt sich in der Opulenz des vollständigen Filmtitels aus: Fontane Effi Briest oder Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und ihren Bedürfnissen und dennoch das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus bestätigen. Diese auch durchaus heute noch angenehm von der gewöhnlichen Lesart abweichenden Aspekte mit Konzentration auf die inneren wie äußeren Handlungsspielräume der Eheleute sind in Fontane Effi Briest mit einer ausführlichen, geradezu die Handlung begleitenden Dramaturgie verbunden, die sich beispielsweise in Kommentaren aus dem Off und eingeblendeten Schrifttafeln äußert – Gestaltungsmittel, die die literarische Herkunft der Geschichte im Filmischen ausgeprägt verankern. Das ist kein leicht konsumierbarer Stoff, doch wer sich mit aufmerksamer Geduld dieser intensiven Inszenierung anvertraut, vermag darin möglicherweise extraordinäre sozial-philosophische sowie ganz individuelle Anregungen zu entdecken, die in ihrer wechselhaften Balance zwischen Nähe und Distanz auch heute noch in wie auch immer gearteten Beziehungskonstellationen von Bedeutung sind.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/fontane-effi-briest