Fallen Angels (1995)

Neonlichter im nächtlichen Hongkong

Eine Filmkritik von Marie Anderson

In der nächtlichen, undurchdringlichen Urbanität der Metropole Hongkong sind sie unterwegs, die Underdogs der schnelllebigen Gesellschaft, die im Schutze der Anonymität ihren einsamen, merkwürdigen Beschäftigungen nachgehen. In Fallen Angels / Duo luo tian shi von 1995 porträtiert Regisseur Wong Kar Wai, der markante Kontrapunkt des Hongkonger Mainstream-Kinos, fünf junge Leute, die in ihrer tapfer kultivierten Verlorenheit in unterschiedlicher Intensität aufeinander treffen.

Durch ihre jahrelange Zusammenarbeit sind der nachtaktive Auftragskiller Wong (Leon Lai) und seine junge, ebenfalls isoliert lebende, herausfordernd sexy auftretende "Agentin" (Michelle Reis), welche die logistischen Verrichtungen vor und nach einem Einsatz ausführt, insgeheim lose vertraulich miteinander verbunden. Doch als sie sich auch in erotischer und emotionaler Hinsicht näher kommen, besinnt sich der Killer auf sein Berufsethos, demzufolge geschäftliche und persönliche Beziehungen strikt zu trennen sind – nur beschränken sich die privaten Bindungen bei ihm nahezu auf den regelmäßigen Besuch einer bestimmten Bar. Die Entscheidung, diesen sich anbahnenden Zustand der unerwünschten Verquickung zu beenden, fällt rasch, obwohl der Killer seine Profession gerade deshalb so sehr schätzt, weil sie keine wie auch immer gearteten Entscheidungen von ihm verlangt, sondern seine Handlungen genau vorzeichnet. Nun steht die von der jungen Frau aufgeworfene Frage im Raum, ob sie dennoch wie gewohnt als Partner zusammenarbeiten – eine universelle Problematik, die oftmals eine grundsätzliche Haltung verlangt und am Ende des Films erneut aufgegriffen wird. Mit der schrägen Punkie (Karen Mok) ist zudem eine zweite Verehrerin auf der Bildfläche erschienen, die es versteht, den ernsthaften Killer zu verführen ...

Der stumme He Zhiwu (Takeshi Kaneshiro) hingegen ist ein flippiges Früchtchen, das sich auf eine besonders drastische Geschäftsmethode spezialisiert hat: Er öffnet des Nachts schlicht die Läden fremder Leute und zwingt des Wegs kommende Passanten, seine Dienste oder Waren in Anspruch zu nehmen. Der heitere, verschlagene Einzelkämpfer kommt dabei in seiner handgreiflichen Dreistigkeit ohne Worte aus, denn seit seiner Kindheit hat er nach übermäßigem Ananaskonsum seine Verbalitäten schlicht abgelegt. Als er den Fokus der schrillen, wirren Charlie (Charlie Yeung) kreuzt, der in der rasenden Verfolgung einer mysteriösen Frau genannt Blondie liegt, die ihr abspenstiger Liebster heiraten will, lässt He Zhiwu sich von ihr in einen konfusen Aktionismus verwickeln, während er sich in das hektische Mädchen verliebt – dieser Episodenstrang repräsentiert die humorvollen Sequenzen des Films, bis die Handlungsfäden am Ende des Films zusammenfinden und aus der witzigen sowie schwermütigen Komponente ein geschickt ausbalanciertes, sanft optimistisches Finale synthetisieren, das signalisiert, dass keiner dieser gefallenen Engel liegen bleiben wird.

Fallen Angels besticht von der ersten Szene an mit seiner ungeheuren Intensität. Man lauscht gebannt dem Killer, wie er in Manier des Film Noir über seine Tötungstätigkeiten und die damit verbundenen sozialen Einbußen räsoniert, betrachtet seine Agentin bei ihrer verzehrenden, einsamen Masturbation und verfolgt die kuriosen Umtriebe des nächtlichen Geschäftsmannes in ihrer karikierenden Originalität – und ist damit in einer grandiosen Komposition aus der atmosphärischen Musik von Frankie Chan und Roel A. Garcia, der kunstvollen Kamera von Christopher Doyle, dem fabelhaften Ensemble und der äußerst gelungenen Dramaturgie von Wong Kar Wai gefangen, der die Gedanken seiner Hauptcharaktere als inneren Monolog mit Stimmen aus dem Off transportiert, was gewagt ist, hier jedoch auf der ganzen Linie gewinnt. Damit ist ein einerseits schonungslos ungnädiger und brutaler, andererseits ein düster-heiterer Film mit einer bewegenden Melancholie entstanden, der durchaus die Deutung zulässt, dass die Einsamkeit von menschlichen Kreaturen zumindest manchmal eine Sache der Entscheidung ist.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/fallen-angels