Lou Reed’s Berlin

Wie Phönix aus der Asche

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Es ist nur ein kurzer Text, der als knappe Einführung mit den notwendigsten Informationen zu Beginn der Dokumentation erscheint, und dann wird weder berichtet, noch kommentiert, sondern es beginnt schlicht die Show. 1973, steht dort geschrieben, erschien das Album "Berlin" von Lou Reed, ein Meisterwerk, das ein kommerzieller Misserfolg war und nie live gespielt wurde, bis der Passenger es 33 Jahre später im Dezember 2006 im St. Ann´s Warehouse in Brooklyn in fünf Nächten doch noch vor einem begeisterten Publikum zelebrierte. Es handle, so der Text abschließend, von den drei dunklen Schwestern der Liebe: Eifersucht, Wut, Verlust. Und dann betritt der Mann die Bühne, nachdem seine Mutter und seine Schwester unter den Anwesenden kurz begrüßt wurden, unspektakulär und intensiv, um die düsteren Songs zu spielen, die von der verlorenen urbanen Liebe zwischen Jim und Caroline erzählen.
Das geradezu intime Konzert, das eine musikalische Geschichte darstellt, wird von Videoinstallationen auf einer Leinwand begleitet, die die Themen der Songs illustrieren. Lou Reed tritt mit großartigen Musikern auf, angeführt vom Bandleader und Gitarristen Steve Hunter, genannt "The Deacon", der bereits mit Alice Cooper, Peter Gabriel und Tracy Chapman zusammengearbeitet hat und auch 1973 bei der Entstehung des Berlin-Albums dabei war. Ein Erlebnis am Bass ist der innovative und äußerst anziehende Fernando Saunders, der im letzten Jahr sein famoses Solo-Album "I Will Break Your Fall" veröffentlichte und hier ebenfalls am Synthesizer, an der Gitarre und im Gesang zu hören ist. Tony "Thunder" Smith bearbeitet das Schlagzeug und weitere Percussions, Rupert Christie das Keyboard und als zweiter Bass-Mann ist Rob Wasserman dabei. Zwei ebenso bekannte wie markante Stimmen verleihen einzelnen Songs ihren ganz eigenen Stil: Soul-Virtuosin Sharon Jones und Antony Hegarty, der kürzlich seine extravagante Interpretation des legendären Songs "Knockin’ on Heaven’s Door" zum Soundtrack des beeindruckenden Dylan-Films I'm Not There von Todd Haynes beisteuerte.

Auch bei den Bläsern finden sich ganz hervorragende Musiker: Steven Bernstein an der Trompete, Paul Shapiro an Saxophon und Flöte, Curtis Fowlkes an der Posaune sowie Doug Wieselman an der Klarinette. Die Streicher, die überwiegend dezent zum Einsatz kommen, werden von David Gold (Viola), der schon Sheryl Crow begleitete, Eyvind Kang (Viola) und der Cellistin Jane Scarpantoni gespielt. Zu diesem umfangreichen Ensemble gesellt sich noch ein ganz besonderer Chor: The Brooklyn Youth Chorus, der gerade mit dem Komponisten und Musiker Philip Glass auftritt und Lou Reeds "Sad Song" eine eindringliche Engelshaftgkeit verleiht.

Nach dem Zelebrieren der Berlin-Chronologie, die sich auf der Bühne wie Phönix aus der Asche erhebt, lässt der noch immer meisterhaft konzentrierte Lou Reed, dessen zeitweise Spärlichkeit im Gesang die Tristesse der musikalischen Geschichte berührend transportiert, die Songs "Candy Says" und "Rock Minuet" folgen – und zum Schluss folgt eine beinahe pflichtbewusst-ergeben wirkende, cool-vertraute Version von "Sweet Jane", einer Remininszenz an sein bewegtes, jahrzehntelanges Bühnen-Dasein gleich.

Lou Reed’s Berlin von Julian Schnabel (Before Night Falls, 2000, Schmetterling und Taucherglocke / Le scaphandre et le papillon, 2007) ist ein puristischer Konzert-Film, der nicht nur für Fans absolut unvermeidlich ist, sondern durch seine erzählerische Form, stimmige Komposition und die hervorragende Band auch weitere musikalisch Interessierte begeistern dürfte.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/lou-reed-s-berlin